Wie wird es enden mit der Kryptoregulierung? Dieser Frage geht Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff im Gastkommentar nach.

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Wolkenkuckucksheim Kryptowährungen? Der Bitcoin-Kurs fiel zuletzt auf den tiefsten Stand seit eineinhalb Jahren.
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Sind die steil fallenden Preise für Kryptowährungen angesichts der von den Notenbanken eingeleiteten Zinserhöhungen der Anfang vom Ende der Blase? Womöglich noch nicht. Doch treiben höhere Opportunitätskosten des Geldes die Preise für Vermögenswerte, deren hauptsächliche Verwendung in der Zukunft liegt, überproportional stark nach unten. Die ultraniedrigen Zinssätze begünstigten Kryptowährungen, und junge Anlegerinnen und Anleger erhalten nun einen Vorgeschmack darauf, was passiert, wenn die Zinsen nach oben gehen.

Was passiert, wenn die Regierungen endlich Ernst machen mit der Regulierung von Bitcoin und anderen Kryptowährungen? Von den wichtigen Volkswirtschaften hat bisher nur China angefangen, dies zu tun. Die meisten politischen Entscheidungsträger haben stattdessen versucht, das Thema auf digitales Notenbankgeld zu verlagern. Aber das ist ein unlogischer Gedankensprung. Obwohl digitales Notenbankgeld voraussichtlich Datenschutzfunktionen für kleinere Transaktionen umfassen wird: Bei größeren Transaktionen wird von den Beteiligten ziemlich sicher verlangt werden, ihre Identität offenzulegen. Im Gegensatz dazu ist einer der größten Reize privater Kryptowährungen die Möglichkeit, sich staatlichem Einfluss zu entziehen.

"Die Bürgerinnen und Bürger müssen keine Computergenies sein, um behördliche Vorgaben zu umgehen."

Einige Ökonomen argumentieren in naiver Weise, dass die Regulierung von Bitcoin und Co nicht sonderlich dringend sei, weil der Einsatz von Kryptowährungen zu Transaktionszwecken schwierig und teuer sei. Erzählen Sie das den Politikern in den Entwicklungsländern, wo sich Kryptowährungen zu einem wichtigen Instrument entwickelt haben, um Steuern zu vermeiden und um Regulierung und Kapitalkontrollen auszuweichen.

Für ärmere Länder mit begrenzten staatlichen Kapazitäten sind Kryptowährungen ein wachsendes Problem. Die Bürgerinnen und Bürger müssen keine Computergenies sein, um behördliche Vorgaben zu umgehen. Sie müssen nur auf eine der simplen "Off-Chain-Börsen" zugreifen. Obwohl durch Dritte vermittelte Kryptotransaktionen im Prinzip nachverfolgbar sind, haben diese Börsen ihren Sitz in den hochentwickelten Ländern. Das bedeutet in der Praxis: Die Informationen für die Behörden der armen Länder sind in den meisten Fällen praktisch unzugänglich.

DER STANDARD

Für Gut und Böse

Aber steht das nicht für das Versprechen der Kryptowährungen, den Bürgerinnen und Bürgern zu helfen, sich dem Einfluss korrupter, ineffizienter, nicht vertrauenswürdiger Regierungen zu entziehen? Mag sein. Doch wie 100-US-Dollar-Scheine werden Kryptowährungen in den Entwicklungsländern genauso von böswilligen Akteuren wie von normalen Bürgerinnen und Bürgern genutzt.

So ist etwa Venezuela heute ein bedeutender Akteur auf den Kryptomärkten. Das liegt zum Teil daran, dass Expatriates diese Märkte nutzen, Geld hin und her zu schicken, ohne dass es vom korrupten Regime des Landes beschlagnahmt wird. Doch das Kryptogeld wird wohl auch vom venezolanischen Militär beim Drogenschmuggel genutzt – von reichen, politisch vernetzten Personen, die Finanzsanktionen unterliegen, gar nicht zu reden. Da die USA derzeit mehr als ein Dutzend Länder mit derartigen Sanktionen belegt haben, sind Kryptowährungen für Hunderte von Organisationen und Tausende von natürlichen Personen eine logische Zuflucht.

Ein Grund, warum die Regulierungsbehörden der hochentwickelten Länder so langsam reagiert haben, ist die Ansicht, dass sie sich mit kryptobedingten Problemen nicht befassen müssen, solange diese primär die übrige Welt betreffen. Sie machen sich anscheinend die Idee zu eigen, dass Kryptowährungen im Wesentlichen Anlageobjekte sind – und dass der Wert einer Transaktion unwichtig ist –, und sie sorgen sich mehr um den Schutz inländischer Anleger und die Finanzstabilität. Doch der Wert einer Währung ist letztlich von ihren potenziellen Verwendungszwecken abhängig. Die größten Anlegerinnen und Anleger in Kryptowährungen mögen in den hochentwickelten Ländern sitzen, aber der Zweck – und die angerichteten Schäden – betraf bisher überwiegend die Schwellen- und Entwicklungsländer. Man könnte sogar argumentieren, dass Investitionen in einige Kryptoinstrumente in den hochentwickelten Ländern sich nicht wesentlich von Investitionen in Blutdiamanten unterscheiden.

Umfassendes Verbot

Die Regierungen hochentwickelter Länder werden höchstwahrscheinlich feststellen, dass die Kryptowährungsprobleme letztlich auf sie zurückschlagen werden. Wenn das geschieht, werden sie gezwungen sein, ein umfassendes Verbot digitaler Währungen zu erlassen, die keine problemlose Rückverfolgung der Nutzeridentität zulassen. Dieses Verbot würde für Finanzinstitute und Unternehmen gelten und wohl auch gewisse Beschränkungen für Privatpersonen umfassen. Ein derartiger Schritt würde durch Verringerung der Liquidität die heutigen Kryptopreise steil untergraben. Natürlich werden die Beschränkungen umso wirksamer sein, je mehr Länder diese anwenden, doch ist eine universelle Umsetzung nicht erforderlich, damit sie lokal eine deutliche Wirkung entfalten.

"Ironischerweise könnte ein wirksames Verbot der Kryptowährungen die Abschaffung oder Begrenzung des Papiergeldes erfordern."

Lässt sich eine Art Verbot umsetzen? Wie China gezeigt hat, ist es relativ einfach, die Kryptobörsen dichtzumachen, die die große Mehrheit der Menschen für den Handel mit digitalen Währungen nutzt. Schwieriger ist es, "On-Chain-Transaktionen" zu verhindern, da die an diesen beteiligten Personen schwieriger zu ermitteln sind. Ironischerweise könnte ein wirksames Verbot der Kryptowährungen die Abschaffung oder Begrenzung des Papiergeldes erfordern, weil Bargeld die praktischste Methode ist, Geld auf digitale "Wallets" einzuzahlen, ohne dabei ohne weiteres erkannt zu werden.

Um es klar zu sagen: Ich will hier nicht suggerieren, dass man alle Blockchain-Anwendungen beschränken sollte. So können etwa regulierte Stablecoins, die über die Bilanzen der Notenbanken abgesichert sind, weiterhin erfolgreich Verwendung finden. Aber es muss einen einfachen rechtlichen Mechanismus geben, um bei Bedarf die Identität des Nutzers zu ermitteln.

Viel Lobbyismus

Wann könnte es zu einer strengeren Regulierung der Kryptowährungen kommen? Sofern keine Krise eintritt, könnte es viele Jahrzehnte dauern, insbesondere da die wichtigen Kryptoakteure – ähnlich wie der Finanzsektor im Vorfeld der globalen Finanzkrise von 2008 – enorme Summen für Lobbyismus ausgeben. Aber es wird wohl nicht annähernd so lange dauern. Die Kryptokrise wird leider früher als später kommen. (Kenneth Rogoff, Übersetzung: Jan Doolan, Copyright: Project Syndicate, 14.6.2022)