"Hams oans gsehn?", fragte einst Ernst Mach, als es um die Frage ging, ob Atome wirklich existierten. In der Astronomie gibt es eine Reihe von Phänomenen, angesichts derer sich eine ähnliche Frage stellen lässt. Die Grenze zwischen direkter und indirekter Beobachtung verschwimmt hier, selbst bei den eindrucksvollen Abbildungen der Schatten zweier Schwarzer Löcher durch das Event Horizon Telescope mit Beteiligung der Europäischen Südsternwarte, die durch ein komplexes Zusammenspiel von Teleskopen überall auf der Erde zustandekamen.

Supernovae gehören eigentlich zu den prominentesten Himmelsereignissen. Einige der spektakulärsten Teleskopbilder stammen von den Überresten von Supernovae. Und manchmal sind sie so hell, dass sie alle anderen Objekte am Nachthimmel überstrahlen. Doch tatsächlich galt für sie bis vor kurzem das, was Mach einst an Atomen kritisierte: Niemand hatte je eine gesehen.

Die Rede ist von der Anfangsphase der Explosion, dem Kollaps des zum Roten Riesen aufgeblähten Sterns und der darauffolgenden extremen Reaktion. Dabei kollabiert unter enormem Druck ein Teil des Sternenmaterials zu einem Weißen Zwerg, einem äußerst dichten Neutronenstern oder sogar einem Schwarzen Loch. Der Rest hingegen wird ins All geschleudert unter Ausstoß solch großer Mengen elektromagnetischer Strahlung, dass für einen kurzen Moment ganze Galaxien überstrahlt werden.

Das Ärgerliche für die Forschenden: Niemand weiß genau, wo und wann es passieren wird. Zwar scheint es gewisse Vorzeichen zu geben, doch bisher ist es noch nie gelungen, eine Supernova erfolgreich vorherzusagen.

Der Sternenhaufen NGC1850 in der Magellan'schen Wolke. Die roten Strukturen sollen Überreste von Supernovae sein. Das Bild entstand aus Aufnahmen des Hubble-Weltraumteleskops und des Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte ESO.
Foto: AFP PHOTO / European Southern Observatory

Entdeckung mit Kepler

Abhilfe schaffte das eigentlich zur Entdeckung von Exoplaneten konzipierte Weltraumteleskop Kepler. Es beobachtet gleich einen ganzen Himmelsauschnitt und misst veränderte Helligkeiten, um das Vorbeiziehen von Planeten vor fremden Sternen zu dokumentieren. Damit ist es prädestiniert für das Auffinden von unvermittelt auftretenden Lichtblitzen. 2011 gelangen mehrere Beobachtungen von Supernovae in ihrer Anfangsphase, doch leider ist der Messbereich von Kepler nicht optimal, um mehr über Sternexplosionen zu lernen. Besonders das ultraviolette Lichtspektrum wäre für die Forschung interessant.

Jemand, der einen starken Bezug zu Science-Fiction hat, könnte sich vielleicht fragen, ob es nicht möglich wäre, nach Auftreten des Lichtblitzes einer Supernova einfach die Zeit ein wenig zurückzudrehen.

In der Astronomie, wo viele Dinge Realität sind, die nach Science-Fiction klingen, ist etwas Ähnliches tatsächlich möglich. Verantwortlich dafür sind sogenannte Gravitationslinsen, die etwa das James-Webb-Teleskop kürzlich spektakulär abgebildet hat. Laut Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie krümmt Masse den sie umgebenden Raum. Wenn die Masseansammlung groß genug ist – etwa im Fall eines Galaxienhaufens –, werden dahinter befindliche Objekte verzerrt, vergrößert und, was hier entscheidend ist, dupliziert. Der markante Effekt nennt sich Einstein-Kreuz, weil es sich meist um vier kreuzförmig angeordnete Bilder handelt. Die vier verschiedenen Wege, die das Licht nimmt, sind dabei im Allgemeinen nicht gleich lang. Durch die extremen Entfernungen erreicht das Licht die Erde also nicht gleichzeitig, die vier Bilder zeigen somit verschiedene Momentaufnahmen des Objekts.

Das Hubble-Bild aus dem Jahr 2010, in dem die Supernova entdeckt wurde. Das unvollständige Einstein-Kreuz befindet sich (hier unsichtbar) im oberen Teil des Bildes.
Foto: NASA, ESA/Hubble, HST Frontier Fields

Schon seit Jahrzehnten wird gemutmaßt, ob sich der Effekt nutzen ließe, um den Beginn einer Supernova zu beobachten. Dass das tatsächlich gelingen könnte, ist seit 2014 klar. In diesem Jahr wurde von Forschenden der University of California, Berkeley, in Aufnahmen des Hubble-Teleskops ein unvollständiges Einstein-Kreuz einer Supernova entdeckt. Laut Berechnungen war der erste Moment der Explosion einmal vor 50 Jahren und einmal vor 20 Jahren dort zu sehen. Seither wird der Ort des fehlenden vierten Bildes beobachtet, in der Hoffnung, dort in einigen Jahren die erste Aufnahme der Frühphase einer Supernova einzufangen.

Weniger als sechs Stunden alt

Doch nun scheint eine internationale Kooperation von Forschenden aus den USA, Japan, Israel und Spanien eine Sensation geglückt zu sein – mit Bildern, die abermals von Hubble stammen. Man fand ein Einstein-Kreuz, das durch den Gravitationslinseneffekt einer jungen Galaxie im Galaxienhaufen Abell 370 verursacht wird und drei Abbilder einer Supernova in der Frühphase zeigt. Berechnungen ergaben, dass eine davon einen Zeitpunkt von weniger als sechs Stunden nach der Explosion zeigt, während die anderen Zeitpunkte von mehreren Tagen danach zeigen.

Ein Einstein-Kreuz, das durch den Gravitationslinseneffekt der 400 Millionen Lichtjahre entfernten Galaxie G2237+0305 entsteht. Der dahinterliegende acht Milliarden Lichtjahre entfernte Quasar erscheint in vierfacher Ausführung. Aufgenommen wurde das Bild vom Hubble-Teleskop.
Foto: NASA, ESA, and STScI

Es ist nicht ganz die im Zusammenhang mit Einstein-Kreuzen zu erwartende Live-Beobachtung einer Supernova. Doch erst die mehrfache Abbildung erlaubte es, überhaupt zu bestimmen, dass es sich bei dem gemessenen Lichtblitz aller Wahrscheinlichkeit nach um eine Supernova handelt. In Kombination mit den beiden anderen Bildern ist zudem eine Reihe von Rückschlüssen auf das Phänomen möglich.

So ließ sich die Größe des Sterns vor seinem Kollaps bestimmen, die etwa das 530-Fache der Sonne betrug. Es dürfte sich also um einen Roten Überriesen gehandelt haben. Wichtig waren dafür die Aufnahmen von Hubble im ultravioletten Lichtspektrum. Sie erlauben es, den Radius des Sterns vor der Explosion einzugrenzen. Vermutet wird ein einfacher Zusammenhang zwischen diesem Radius und der Lichtintensität der frühen Explosion, doch bisher fehlt es an Daten, um das zu bestätigen.

Die Forschenden betonen, dass Einstein-Kreuze eine erstklassige Möglichkeit darstellen, diesen Zusammenhang zu untersuchen, wenn die Zeitverzögerung einige Tage beträgt und so mit einem einzigen Bild mehrere Punkte der zeitlichen Entwicklung von Supernovae in den ersten Tagen eingefangen werden können.

Eine Abbildung des Galaxienhaufens SMACS 0723, die mit dem James-Webb-Teleskop aufgenommen wurde. Die roten länglichen Strukturen sind verzerrte Bilder von Galaxien, die durch Gravitationslinsen entstanden.
Foto: IMAGO/UPI Photo

Das vierte Bild fehlt

Wer sich Hoffnungen macht, das Fehlen des vierten Bildes könnte eine direkte Beobachtung der Supernova in Zukunft erlauben, muss leider enttäuscht werden. Es hat nichts mit einer etwaigen Zeitverzögerung zu tun, sondern ist auf eine unzureichende Vergrößerung aufgrund der Geometrie der Gravitationslinse zurückzuführen. Außerdem wäre das Ereignis bei einer Zeitverzögerung von nur wenigen Tagen zwischen den einzelnen Bildern längst unbemerkt über die Bühne gegangen.

Die Entdeckung ist ein später Erfolg für den Weltraum-Oldtimer Hubble, der immer noch für Überraschungen gut ist. (Reinhard Kleindl, 10.11.2022)