Kaoru Mitoma erwischt den Ball offenbar keinen Wimpernschlag zu spät.

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Auch ein anderer Blickwinkel lässt erahnen, wie knapp die Entscheidung war.

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Der Fußball-Weltverband (Fifa) hat nach dem höchst diskutablen Siegtor Japans gegen Spanien bei der Fußball-WM in Katar ein Machtwort gesprochen. Wie der Weltverband bei Twitter mitteilte, sei der Treffer zum 2:1 durch Ao Tanaka von den Videoschiedsrichtern mithilfe der Torlinienkamera überprüft worden. Demnach sei der Ball in der Entstehung "nach den vorliegenden Informationen nicht vollständig aus dem Spiel" gewesen.

Japans Kaoru Mitoma hatte den Ball von der Grundlinie gekratzt, seine Flanke verwertete Tanaka. Die gesamte Fußball-Welt diskutierte, ob der Ball die Linie überschritten hatte oder noch im Spiel war. Auf Bildern aus seitlicher, aber verzerrender Perspektive ist zwischen Ball und Linie tatsächlich grüner Rasen zu sehen. "Andere Kameras können irreführende Bilder liefern", erklärte die Fifa.

Der Weltverband veranschaulichte seine Erklärung mit einem Video, in dem zu sehen ist, dass der Ball noch mit wenigen Millimetern auf der Linie war. Japan rettete die Führung über die Zeit. Deutschland, das bei einem Remis der Japaner ins Achtelfinale eingezogen wäre, schied wie vor vier Jahren in Russland bereits in der WM-Vorrunde aus.

Heftige Diskussionen

Bei Mitomas entscheidender Hereingabe ging es um Millimeter. Selbst nach Ansicht der Videobilder und Fotos waren sich die Beteiligten noch unsicher. "Auf der Videoanzeigetafel hatte ich das Gefühl, dass der Ball aus dem Spielfeld war", sagte Spaniens Innenverteidiger Pau Torres. "Aber der VAR ist nicht ohne Grund da."

Der mexikanische Videoassistent Fernando Guerrero gab dem südafrikanischen Referee Victor Gomes nach fast dreiminütiger Überprüfung den Hinweis, dass der Ball noch im Feld gewesen sei – das ursprünglich aberkannte Tor zählte doch. "Für mich war er halb aus, aber so richtig konnte ich es nicht sehen. Wenn er ihn aus gegeben hätte und das Tor nicht gezählt hätte, hätte ich es akzeptiert und wäre nicht enttäuscht gewesen", sagte Torschütze Tanaka.

Sein Coach äußerte sich ebenfalls diplomatisch. "Heutzutage gibt es eine großartige Technologie auf der großen Fußballbühne", sagte Hajime Moriyasu, "und wenn der Ball wirklich im Aus gewesen wäre, hätte es nicht gezählt. Der Schiedsrichter hat entschieden, dass der Ball drin war, und das haben wir respektiert. Aber wir waren bereit, es so oder so zu akzeptieren."

Eine Frage der Perspektive

Laut offiziellen Regeln gilt ein Ball aus dem Spiel, wenn er "die Linie vollständig überquert hat." Was heißt vollständig? "Es darf weder am Boden noch in der Luft kein noch so kleiner Teil des Balles mehr auf einen noch so kleinen Teil der jeweiligen Linie ragen", sagt Alex Feuerherdt vom Schiedsrichter-Podcast Collinas Erben der ARD-"Sportschau". Sonst sei der Ball nicht im Aus.

Luft heißt: Man muss sich die Linie nach oben verlängert vorstellen und schauen, ob der Ball die gedachte verlängerte Linie in der Luft berührt. Tut er das, hat der Ball die Linie eben noch nicht vollständig überquert. Der erste Blick auf den Boden kann da mitunter täuschen, wie Videos in den sozialen Medien zeigen. Im unteren Video berührt der Ball die Linie am Boden nicht, dafür aber die verlängerte Linie in der Luft. Daher ist dieser Ball noch im Spielfeld.

17,7 Prozent Ballbesitz

Der Triumph der sogenannten Samurai Blue erfasste sogar die Politik: Japans Premierminister Fumio Kishida sagte vor Journalisten, der Sieg war "historisch" und gratulierte Teamchef Hajime Moriyasu und Verbandspräsident Kozo Tashima am Telefon. "Wir freuen uns auf das Achtelfinale. Kämpf weiter, Japan!", schrieb Kishida auf Twitter.

Japans Triumph ist noch außergewöhnlicher, wurde er doch im Fall des Spanien-Spiels mit lediglich 17,7 Prozent Ballbesitz geschafft – der wenigste bei einer WM, seit diese Statistik aufgezeichnet wird. Spanien spielte mehr als 1.000 Pässe. Doch die Japaner störte das keineswegs.

Zehn Minuten Panik

Der Spanien-Coach sprach von "zehn Minuten Panik" angesichts von zwei Gegentoren direkt nach der Pause. "Fußball ist manchmal ein unerklärlicher Sport", sagte er. Das Ergebnis reichte am Ende beiden Teams zum Weiterkommen – was dazu führte, dass in der Schlussphase kein Team ein Risiko einging. "Wir haben alles gegeben", beteuerte Spaniens Coach.

Die Niederlage kann sich allerdings als günstig erweisen. Die Spanier treffen als Gruppenzweiter nun im Achtelfinale am Dienstag auf Marokko. Japan muss einen Tag früher auf den Platz und hat mit Kroatien das auf dem Papier deutlich schwierigere Spiel vor sich. (sid, APA, red, 2.12.2022)