Wegen Bestechungsvorwürfen wurde die Vizepräsidentin des EU-Parlaments am Dienstag abgesetzt. Nun hat ihr Lebensgefährte ein Geständnis abgelegt.

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Im Skandal um eine mutmaßliche Einflussnahme aus dem Golfemirat Katar auf politische Entscheidungen im Europaparlament hat der Lebensgefährte der abgesetzten Europaparlaments-Vizepräsidentin Eva Kaili ein Geständnis abgelegt. Der Italiener Francesco Giorgi hat vor den Ermittlern zugegeben, Schwarzgeld angenommen zu haben, berichtet die Tageszeitung "La Repubblica" vom Donnerstag.

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DER STANDARD

Giorgi habe zugegeben, Teil einer Organisation gewesen zu sein, die von Marokko und Katar benutzt wurde, um sich in europäische Angelegenheiten einzumischen und diese zu beeinflussen. Seine Aufgabe war es, Bargeld zu verwalten. Der Zeitung zufolge hat Giorgi auch angedeutet, dass er Andrea Cozzolino (S&D-Fraktion) und Marc Tarabella (Sozialdemokratische Partei Europas), beide Abgeordnete im EU-Parlament, verdächtige, über den ehemaligen italienischen EU-Abgeordneten Antonio Panzeri Geld angenommen zu haben.

Marokko soll über seinen externen Informationsdienst Dged in die mutmaßliche Bestechungsaffäre verwickelt sein. Aus den von der Zeitung eingesehenen Dokumenten geht hervor, dass Panzeri, Cozzolino und Giorgi in Kontakt mit dem Dged und Abderrahim Atmoun, dem marokkanischen Botschafter in Polen, standen.

Beeinflussung zugunsten Katars

Im Zentrum der Ermittlungen der belgischen Justiz steht das Netzwerk Panzeris. Dieser war lange Jahre Mitglied des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD), derzeit die stärkste Oppositionspartei in Italien. 2017 wechselte er zur Partei des ehemaligen italienischen Kommunistenchefs und Ex-Premiers Massimo D'Alema, Articolo 1, blieb jedoch im Europäischen Parlament in der Fraktion der Sozialdemokraten.

Die Staatsanwaltschaft Brüssel ist sich sicher, dass bei Panzeri die Fäden zusammenliefen, wenn es darum ging, politische und wirtschaftliche Entscheidungen des EU-Parlaments zugunsten von Staaten wie Katar oder Marokko zu beeinflussen. Im Zentrum steht die von Panzeri nach seinem Ausscheiden 2019 aus dem EU-Parlament gegründete Nichtregierungsorganisation Fight Impunity.

Er soll das Geld aus Katar verteilt haben, um Entscheidungen des Parlaments im Sinne des Emirats zu beeinflussen. Panzeri sitzt in U-Haft, auch seine Frau und seine Tochter wurden festgenommen. Luca Visentini, Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbunds, der die Arbeitsmarktreformen in Katar als "Erfolgsgeschichte" gerühmt hatte und ebenfalls in die Affäre verwickelt ist, kam am Sonntag unter Auflagen wieder frei. Noch am 25. Oktober hatte er in einem Interview Katar als reformorientiertes Land gelobt.

Neue Betrugsvorwürfe

Gegen Eva Kaili wurden zugleich neue Vorwürfe wegen Betrugs mit EU-Haushaltsmitteln laut. Die Europäische Staatsanwaltschaft in Luxemburg beantragte am Donnerstag die Aufhebung der Immunität von Kaili und ihrer griechischen Kollegin Maria Spyraki, die beide Mitglieder im Europaparlament sind. Wie es in einer Erklärung der Staatsanwaltschaft weiter hieß, geht es um den Verdacht des "Betrugs zum Schaden des EU-Haushalts".

Der Verdacht beziehe sich auf die Entlohnung von Parlamentsmitarbeitern. Es bestehe der Verdacht auf Betrug zum Nachteil des EU-Haushalts, teilte die Behörde mit Sitz in Luxemburg am Donnerstag mit. Dabei gehe es um die "Verwaltung der parlamentarischen Vergütung und insbesondere die Vergütung der akkreditierten parlamentarischen Assistenten". Grundlage für den Verdacht ist ein Untersuchungsbericht der EU-Antibetrugsbehörde Olaf.

Politische Konsequenzen

Die Korruptionsaffäre zieht mittlerweile weite Kreise im EU-Parlament. Mehrere S&D-Abgeordnete sind von Funktionen in Ausschüssen ausgetreten, die in Beziehung zu Katar stehen. Es wird vermutet, dass nicht nur die EU-Visapolitik, sondern auch ein Flugverkehrsabkommen zwischen der EU und Katar unterminiert wurde. Parlamentspräsidentin Roberta Metsola will den Kampf gegen Korruption persönlich leiten: "Es wird keine Straffreiheit geben. Es wird nichts unter den Teppich gekehrt. Es wird kein business as usual geben."

Am Donnerstag reagierte das Parlament, indem es zunächst alle Tätigkeiten mit Katar aussetzte. Es soll vorerst auch keinen Zugang mehr zum EP für Vertreter der Interessen Katars geben. Ein Untersuchungsausschuss soll eingeführt und ein Sonderausschuss für Transparenz gegründet werden. Zudem gab es Forderungen nach einem Verbot von Spenden aus Drittländern an MEPs und politische Parteien. Abgeordnete sollen zudem künftig eine Vermögenserklärung zu Beginn und am Ende eines jedes Mandats abgeben müssen.

Fast einstimmig, mit 541 Stimmen dafür, nur zwei dagegen bei drei Enthaltungen, wurde der Entschließungsantrag angenommen. Die internen Mechanismen der EU-Organe hätten "bei der Aufdeckung der laufenden Korruption kläglich versagt", hieß es schonungslos ehrlich im Text. Die mutmaßlichen Korruptionsversuche Katars geißelte das EP als "eine schwerwiegende Einflussnahme aus dem Ausland auf die demokratischen Prozesse der EU". (APA, tom, faso, 15.12.2022)