Als hunderte schwerbewaffnete Exekutivbeamte am 9. November 2020 österreichweit reihenweise Wohnungen stürmten, war A. S. mit Sicherheit der prominenteste unter den Verdächtigen. Im fast 200 Seiten dicken Befehl für die Razzien der sogenannten Operation Luxor gegen mutmaßliche Muslimbrüder und angebliche Mitglieder der Hamas-Terroristen galt A. S. praktisch als Anführer – wörtlich als "der führende Muslimbruder in Österreich". Das hat den Ermittlern ein ehemals anonymer Hinweisgeber so zugeflüstert.

Mehr als zwei Jahre später liegen diese Vorwürfe in Trümmern. Die Ermittlungen der Grazer Staatsanwaltschaft gegen A. S. – unter anderem wegen terroristischer Vereinigung, Terrorfinanzierung und Geldwäsche – wurden eingestellt. Das geht aus einem Beschluss des Oberlandesgerichts Graz hervor, der dem STANDARD vorliegt. Einmal mehr fehlte in der Causa das Verdachtssubstrat. Bisher wurden mehr als 20 Verfahren eingestellt – bei insgesamt knapp 100 Beschuldigten. "Der Rechtsstaat hat sich bewährt", sagt nun der Verteidiger von A. S., Andreas Rest.

Der Beschluss bringt auch Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) unter Druck. Zwar ist für Operation Luxor federführend die Staatsanwaltschaft Graz zuständig. Aber Nehammer versuchte als türkiser Innenminister daraus politisches Kapital zu schlagen, indem er sich etwa neben den ausgerüsteten Cobra-Beamten medial in Szene setzte. Nach den Ermittlungspannen rund um den jihadistischen Terroranschlag vom 2. November hagelte es zudem Kritik an Nehammer. Wegen schon der länger geplanter Razzien der Operation Luxor wurde nicht zuletzt eine Gefährderansprache mit dem späteren Terroristen K. F. verschoben.

"Erzählungen bestmöglich gehemmt"

Das Oberlandesgericht zerpflückt in seinem Beschluss zu A. S. nun regelrecht die Arbeit der Ermittler. Wesentliche Informationen der Operation Luxor gehen auf einen anonymen Hinweisgeber zurück, der selbst Beschuldigter ist. Er beschrieb Verfassungsschützern im Juni 2020 gemäß Akten den mutmaßlichen Führungszirkel der Muslimbruderschaft in Österreich. Und an dessen Spitze stehe demnach eben A. S.

Für das Gericht sei allerdings "nicht erkennbar", woher der ominöse Einflüsterer das alles wissen könne. "Denn die Grundlage seines allfälligen Wissens – sinnliche Wahrnehmung oder Mutmaßung – wurde (...) nicht geklärt", heißt es in dem Beschluss. Im Gegenteil. Da der Zugriff in der Operation Luxor damals noch in weiter Ferne stand, stellten die Ermittler ihrem Informanten keine Fragen, die ihn selbst mit der Muslimbruderschaft in Verbindung gebracht hätten. Das hielt der Verfassungsschutz selbst in einem internen Bericht fest. Und: "Erzählungen seinerseits zu diesem Thema wurden bestmöglich gehemmt."

Sinngemäß hält das Gericht also fest, dass nicht klar sei, woher der Hinweisgeber seine Informationen bezogen oder wer sie ihm zugetragen habe. Außerdem deutet sich anhand seiner eigenen Ausführungen ("Ich kann das nicht strikt behaupten, als ich nach Österreich kam, wurde das von mehreren Personen innerhalb der muslimischen Gemeinde erzählt") an, dass es sich bei seinen Aussagen teils um bloßes Hörensagen gehandelt haben könnte. Pikant ist wiederum, dass die Staatsanwaltschaft ihren Hinweisgeber vor einem Jahr in den Akten selbst enttarnt hat. Wenig später geriet er eine Schlägerei.

Kanzler Karl Nehammer inszenierte die Operation Luxor am 9. November 2020 als türkiser Innenminister ausgesprochen öffentlichkeitswirksam.
Foto: APA/BMI

Auch drei andere Einflüsterer, die A. S. als Muslimbruder bezeichnet oder indirekt mit der Bruderschaft in Verbindung gebracht hatten, nimmt das Gericht nicht für voll. Die Aussagen von einem der Belastungszeugen bestünden "überwiegend aus Einschätzungen", die eines weiteren "nahezu ausschließlich aus Einschätzungen und Schlussfolgerungen", und die Ausführungen des Dritten im Bunde seien "lediglich Einschätzungen und Mutmaßungen", wird in dem Beschluss befunden.

"Ansammlung von bloßen Andeutungen"

Ausführlicher geht das Gericht auf Z. ein. Dieser rückte unter anderem A. S. vor Ermittlern in die Nähe der Muslimbruderschaft. Z. behauptete etwa, dass A. S. ihm vor 16 Jahren von seiner Zugehörigkeit zu der islamistischen Bewegung ägyptischen Ursprungs erzählt habe. Im Beschluss wird nun bemängelt, dass die Einvernehmenden keine "Kontrollfragen" gestellt hätten, "anhand derer die Richtigkeit dieser Behauptung überprüft werden könnte".

Nachdem Z. seine Vorhalte auch öffentlich in einem mittlerweile offline genommenen Interview mit dem "Exxpress" dargelegt hatte, wurde er zumindest in erster Instanz wegen übler Nachrede schuldig gesprochen.

Überschlagsmäßig nennt das Gericht diese Deponate der drei Zeugen "eine Ansammlung von bloßen Andeutungen, deren Richtigkeit mangels aussagekräftiger Kontrolltatsachen nicht überprüfbar ist, Gerüchten und Annahmen aus nicht mehr konkretisierbaren Quellen sowie deren Interpretation und anschließende Weitergabe nach Art von Schlussfolgerungen und Mutmaßungen, die nicht Gegenstand eines Aussagebeweises – egal ob Zeuge oder Mitbeschuldigter – sind".

Auch abgesehen davon erkennt das Gericht zwei Jahre nach den Razzien der Operation Luxor in den Ermittlungsakten insgesamt "kein Substrat", das den Verdacht nähren würde, wonach sich A. S. "als Mitglied an einer terroristischen Vereinigung (insbesondere der Hamas), kriminellen Organisation oder an einer auf Österreich bezogenen staatsfeindlichen Verbindung beteiligt, derartige Personenverbindungen sonst auf irgendeine Weise unterstützt oder terroristische Aktivitäten finanziert".

Die Operation Luxor fand zwar eine Woche nach dem jihadistischen Terroranschlag vom 2. November stat. Geplant waren die Aktion aber schon lange vor dem Attentat. Von den knapp hundert Beschuldigten – teils natürliche Personen, teils Verbände – kam nie jemand in Haft. Angeklagt wurde bisher ebenso niemand. (Jan Michael Marchart, 6.1.2023)