Ein Stück der Sonne sei abgebrochen, hieß es in den vergangenen Tagen recht dramatisch in einigen Medien. Außerdem sei in der Folge ein gewaltiger Strudel auf der Sonnenoberfläche entstanden. Abgesehen davon, dass von einer Gaskugel schwerlich etwas "abbrechen" kann, hat sich tatsächlich Spannendes auf unserem Zentralgestirn ereignet – jedenfalls aus Sicht der Weltraumwetterforschung.

Wie die Astronomin Tamitha Skov in einem Tweet berichtet hatte, entwickelte eine große Sonnenprotuberanz ein bemerkenswertes Eigenleben: Material hatte sich von der Sonnenoberfläche gelöst und wirbelte dann um den Nordpol des Sterns; das zeigten Aufnahmen der Nasa-Sonde Solar Dynamics Observatory.

Protuberanzen sind Ströme von Materie aus elektrisch leitfähigen Ionen und Elektronen. Sie entstehen, wenn sich magnetische Brücken in der heißen äußeren Atmosphäre der Sonne emporwinden und dabei solares Plasma entlang der magnetischen Feldlinien mitreißen. Manchmal werden gewaltige Materialmengen mit bis zu 1.000 Kilometern pro Sekunde fortgeschleudert, in solchen Fällen spricht man von einer Sonneneruption.

Was steckt hinter dem Wirbel?

Während Protuberanzen alltäglich sind, ist es der nun beobachtete Wirbel um den Sonnennordpol keineswegs. Deshalb teilen viele Fachleute die Aufregung von Tamitha Skov. Dazu zählt auch der Sonnenphysiker Scott McIntosh vom National Center for Atmospheric Research in Boulder (Colorado, USA). Er selbst habe bisher noch nie einen solchen Wirbel gesehen, berichtete der Forscher gegenüber dem Magazin "Space.com", aber er passe ins Bild. Die Phänomene, die hinter dem Strudel stecken, seien der Wissenschaft dagegen noch weitgehend ein Rätsel.

Zahlreiche einander überlagernde Zyklen bestimmen den Lebenslauf unseres Zentralgestirns, deren Hintergründe vielfach noch unklar sind. Einer der auffälligsten ist der Schwabe-Zyklus, der von einem Sonnenfleckenmaximum durchschnittlich alle elf Jahre ausgeht.

Protuberanzen schleudern teils enorme Materiemengen zehntausende Kilometer ins All hinaus.
Foto: NASA, SDO

Rätselhafte Wiederkehr

Während dieser Aktivitätshöhepunkte kommt es auch zu häufigeren Plasma- und Strahlungsausbrüchen, so wie sich die Sonne während dieser Zeit generell eher von ihrer rabiateren und unberechenbaren Seite zeigt. Das letzte Sonnenfleckenminimum liegt drei Jahre zurück, das nächste Maximum ist also nicht mehr allzu weit weg. Möglicherweise kündigen die jüngsten Ausbrüche es bereits an.

In dieses Schema jedenfalls fügt sich auch der merkwürdige Protuberanzenwirbel ein, wie McIntosh erklärte. Alle elf Jahre würden nach bisheriger Beobachtung solche Strukturen rund um den 55. Breitengrad der Sonne entstehen. Die Forschung weiß zwar, dass diese Wirbel mit der zyklischen Umkehrung des solaren Magnetfelds zu tun haben, aber was sie antreibt, darüber rätseln die Fachleute noch.

Ungünstiger Blickwinkel

"Einmal in jedem Sonnenfleckenzyklus bildet sich der Wirbel auf dem 55. Breitengrad und beginnt zu den Sonnenpolen zu wandern", sagte McIntosh. "Warum bewegt er sich nur einmal in Richtung der Pole? Warum verschwindet er dann, um Jahre später wie auf magische Weise in genau derselben Region wieder aufzutauchen?" Laut McIntosh tappt man bei diesen Fragen noch im Dunkeln.

Einer der Gründe für diese Wissenslücken ist die ungünstige Perspektive auf die Polregionen der Sonne. Man vermutet mittlerweile, dass die Pole eine Schlüsselrolle im Magnetfeld der Sonne spielen, aber weil wir die Sonne nur von der Seite, also der Ekliptikebene aus, beobachten können, bleibt der Wissenschaft ein genauerer Blick auf den Ort des Geschehens versagt.

Hoffnungen ruhen auf Solar Orbiter

Etwas Licht in die Angelegenheit könnte jedoch der Solar Orbiter der Europäischen Weltraumorganisation Esa bringen. Wenn die 2020 gestartete Sonde ihre stark geneigte Zielumlaufbahn erreicht hat, wird sie die Pole der Sonne aus einem Winkel von bis zu 33 Grad beobachten können. Ob das ausreichen wird, um hinter das Geheimnis des Polarwirbels zu kommen, wird sich weisen. (tberg, red, 14.2.2023)