Schwarze Löcher sind von Natur aus schwierig zu beobachten. Sie selbst senden kein Licht aus, im Gegenteil: Der Raum um sie ist so stark gekrümmt, dass sie sogar Licht verschlucken. Beobachten lassen sie sich also nur indirekt über ihre Interaktion mit anderen kosmischen Objekten. Manchmal lenken sie Objekte in ihrer Nähe durch ihre enorme Anziehungskraft ab, in günstigen Fällen werfen sie sogar einen Schatten oder saugen Gas ein, das vor dem Sturz ins Innere enorme Mengen elektromagnetischer Strahlung aussendet. Eine Ausnahme bilden Gravitationswellenmessungen, bei denen Kollisionen Schwarzer Löcher direkt über die dabei entstehende Raumkrümmung nachweisbar sind.

Eine Simulation, die zeigt, wie ein Schwarzes Loch den Raum verzerrt. Dieser Effekt ist eine Möglichkeit, Schwarze Löcher nachzuweisen, die sich einsam durch den Raum bewegen.
Foto: NASA’s Goddard Space Flight Center; background, ESA/Gaia/DPAC

Sind keine anderen Objekte oder Materiewolken in der Nähe, ist der Nachweis schwieriger, aber nicht aussichtslos. Erst kürzlich konnte ein Forschungsteam ein sehr schweres Objekt beobachten, das einsam durch die Milchstraße treibt. Sichtbar wurde es nur, weil es dank seines enormen Gravitationsfeldes den Raum und wie eine Linse das Bild eines dahinterliegenden Sterns verzerrte. Ob es sich um ein Schwarzes Loch oder doch um einen Neutronenstern handelte, ließ sich nicht final klären. Doch laut Schätzungen könnte es allein in unserer Milchstraße zwischen zehn Millionen und einer Milliarde einsam durch den Raum treibende Schwarze Löcher geben.

Ein Team von Forschenden aus Kanada, Australien und den USA berichtet nun von einer noch spektakuläreren Entdeckung. Es fand Hinweise auf ein supermassereiches Schwarzes Loch, das auf dem Weg ist, seine Heimatgalaxie zu verlassen. Die Analyse der Daten hat das Team nun zur Veröffentlichung eingereicht. Die Arbeit ist, wie in diesem Forschungsbereich üblich, vorab auf einem Preprint-Server erschienen. Sie wurde inzwischen vom Fachjournal "Astrophysical Journal Letters" akzeptiert.

Kosmische Riesen

Supermassive Schwarze Löcher oder SMBHs, wie sie auch genannt werden, können die millionen- oder sogar milliardenfache Masse der Sonne besitzen. Sie befinden sich normalerweise im Zentrum von Galaxien, wo sich meist buchstäblich alles um sie dreht. Die beiden bisher einzigen direkten Aufnahmen des Ereignishorizonts eines Schwarzen Lochs stammen von solchen SMBHs – eine vom Schwarzen Loch im Zentrum der Galaxie Messier 87, eine andere von jenem im Zentrum unserer Milchstraße. Möglich sind diese Bilder nur dank der riesigen Dimensionen.

Die Idee, dass etwas diese extremen Objekte aus ihrer Position im Galaxienzentrum losreißen könnte, mag auf den ersten Blick widersinnig erscheinen. Doch bereits 2021 wurde ein Objekt entdeckt, bei dem es sich um ein außerhalb eines Galaxienkerns durchs All fliegendes Schwarzes Loch handeln könnte. Nun wurde ein weiterer Hinweis auf ein solches Objekt gefunden.

Das Schwarze Loch im Zentrum der elliptischen Galaxie Messier 87, erstmals abgebildet von der Kollaboration Event Horizon Telescope, die dazu Teleskope auf der ganzen Welt kombinierte.
Foto: APA/AFP/EUROPEAN SOUTHERN OBSERVATORY

Wieder ist es hier die Interaktion mit der umgebenden Materie, die Rückschlüsse auf ein eigentlich unsichtbares Schwarzes Loch zulässt. Modelle zeigen, dass ein SMBH, das sich durch dünnes Gas bewegt, darin Schockwellen erzeugen und einen Schweif aus jungen Sternen zurücklassen würde. Eine solche Struktur hat das Team nun in Bildern der Zwerggalaxie RCP 28 gefunden, die das Weltraumteleskop Hubble erst im September 2022 aufgenommen hat. Das Licht der darin enthaltenen Sterne legt nahe, dass sie zum Ende des Schweifs hin nach und nach jünger werden. In Summe passen alle Eigenschaften zum Bild eines Schwarzen Lochs mit etwa 20 Millionen Sonnenmassen, das sich mit hoher Geschwindigkeit durch Gas rund um die benachbarte Galaxie bewegt.

Bewegung mit Fluchtgeschwindigkeit

Besonders bemerkenswert ist die errechnete Geschwindigkeit des Schwarzen Lochs. Mit 1.600 Kilometern pro Sekunde ist sie größer als die Fluchtgeschwindigkeit, die nötig ist, um die Galaxie für immer zu verlassen. Der Schweif aus Sternen ist dabei nicht ganz gerade, sondern leicht gekrümmt. Das ist ebenfalls mit einem Schwarzen Loch kompatibel, das sich mit Fluchtgeschwindigkeit von der Galaxie entfernt.

Den Beginn der Reise des einstigen Galaxienzentrums datierte das Team auf einen Zeitpunkt vor etwa 39 Millionen Jahren. Doch wie kam es dazu, dass ein so riesiges Objekt überhaupt in Bewegung geriet?

Eine Spur aus Gas und Sternen, die auf ein supermassives Schwarzes Loch zurückgeht, wenn es nach der nun publizierten Arbeit geht. Die Aufnahme stammt vom Weltraumteleskop Hubble.
Foto: van Dokkum et al. 2023

Aufschluss darüber könnte eine zweite Struktur in den Hubble-Bildern geben. Auf der gegenüberliegenden Seite der Galaxie findet sich nämlich ein schwächeres "Spiegelbild" des Sternenschweifs, der in diesem Fall aber nur aus Schockwellen von Gas besteht. Die Erklärung dafür ist eine zweite große Masse, die auf der entgegengesetzten Seite der Galaxie hinausgeschleudert wurde.

Ein solches Gegenstück zu finden ist an sich nicht überraschend, muss doch der Gesamtimpuls eines Systems immer erhalten bleiben. Es verhält sich ähnlich wie bei einer Rakete, die nur im leeren Raum beschleunigen kann, wenn sie Masse ausstößt: Auch bei einer riesigen Masse, die in eine bestimmte Richtung beschleunigt wurde, ist anzunehmen, dass ein zweites Objekt in die Gegenrichtung fliegt.

Drei supermassive Schwarze Löcher

Eine in dem Paper vorgeschlagene Erklärung, wie genau das vonstattenging, ist einigermaßen komplex und beinhaltet gleich drei supermassive Schwarze Löcher. Alles begann demnach mit der Kollision zweier Galaxien, deren Kerne verschmolzen sind und in deren neuem Zentrum ein stabiles System aus zwei SMBCs entstand. Irgendwann kam eine dritte Galaxie ins Spiel, in der sich ein weiteres SMBC befand.

Als es auf das "Doppelsternsystem" aus Schwarzen Löchern stieß, bildete sich ein sogenanntes Dreikörpersystem. In der Physik ist dies ein klassisches Beispiel eines chaotischen Systems, dessen Verhalten sich nicht exakt vorhersagen lässt. Die drei Schwarzen Löcher verloren beim Aufeinandertreffen ihre stabilen Bahnen und umkreisten einander eine Weile chaotisch, bevor sie in unterschiedlichen Richtungen aus jener Galaxie geschleudert wurden, die durch die Verschmelzung entstanden war.

So könnte sich der Prozess abgespielt haben, der letztlich zum Herausschleudern des Schwarzen Lochs aus seiner Heimatgalaxie führte.
Foto: van Dokkum et al. 2023

Das Team widmet sich in seiner Arbeit auch anderen Erklärungsversuchen. So gibt es etwa eine bekannte Struktur, die dem nun entdeckten Sternenschweif ähnelt. Der Quasar 3C273 war deren erster, der überhaupt entdeckt wurde, und hat einen ähnlich großen Schweif. Doch es gibt verschiedene markante Unterschiede. So sendet der Schweif des Quasars etwa starke Röntgenstrahlung aus, die in dem nun entdeckten Schweif fehlt.

Daten des Webb-Teleskops erwartet

Eine andere Erklärung wäre, dass es sich bei dem sichtbaren Schweif um Sterne handelt, die von Jets aus geladenen Teilchen erzeugt wurden. Doch auch das glaubt das Team ausschließen zu können, weil in der Galaxie mit keinem der derzeit verfügbaren Mitteln ein galaktisches Zentrum nachgewiesen werden kann, das für die Jets verantwortlich sein könnte. Außerdem passe die Form des neuen Sternenschweifs nicht zu den bekannten Modellen für Sternenentstehung durch Jets.

Ob sich der spektakuläre Verdacht erhärten lässt, werden weitere Untersuchungen zeigen. Das Team wartet auf Beobachtungen des James-Webb-Weltraumteleskops. Dabei sollte sich, falls dort wirklich ein Schwarzes Loch existiert, stark ins rote oder blaue Spektrum verschobenes Licht zeigen. (Reinhard Kleindl, 12.3.2023)