Vor dem US Supreme Court in Washington, D.C., haben sich schon am Wochenende Demonstrantinnen eingefunden, um gegen weitere Einschränkungen beim Zugang zu Abtreibungen zu protestieren.

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Es war ein rechtliches Hin und Her: Am 7. April hat Matthew Kacsmaryk, Richter am Bundesgericht im US-Bundesstaat Texas, entschieden, dass die Zulassung des Medikaments Mifepriston aufgehoben werden soll. Es folgten gegenteilige Entscheidungen, Berufungen, Notfallanträge, die nun alle – inklusive des ursprünglichen Urteils – vorerst ausgesetzt sind. Nach dem Fall von Roe v. Wade 2022 ist nun erneut der Supreme Court beim Thema Abtreibung am Zug.

Frage: Was ist Mifepriston?

Antwort: In den USA wird mittlerweile mehr als die Hälfte der Abtreibungen medikamentös durchgeführt, die meisten mit Mifepriston. Es hemmt die Wirkung des körpereigenen Hormons Progesteron, das essenziell für Entwicklung und Erhalt der Schwangerschaft ist. Das Präparat wird meist in Kombination mit Misoprostol, einem Prostaglandin, eingesetzt, um in Folge Kontraktionen der Gebärmutter auszulösen. Klinisch verläuft der medikamentöse Abbruch wie ein Spontanabort und ist davon nicht zu unterscheiden. Anders als chirurgische können medikamentöse Abbrüche aber in einem frühen Stadium der Schwangerschaft und ohne örtliche Betäubung oder Narkose durchgeführt werden. Die US-Arzneimittelbehörde FDA (Food and Drug Administration) hat Mifepriston im Jahr 2000 nach vierjährigem Begutachtungsprozess zugelassen. In Österreich ist Mifepriston unter dem Handelsnamen Mifegyne bekannt.

Frage: Wie wurde in dem Fall in Texas argumentiert?

Antwort: Die Klägerpartei ist der Ansicht, die FDA habe das Medikament nie zulassen dürfen, das Verfahren sei rechtswidrig und Mifepriston nicht sicher. Sie zitiert Studien, deren Wissenschaftlichkeit von Fachleuten angezweifelt wird und die zum Teil von Antiabtreibungsorganisationen durchgeführt wurden. Nicht erwähnt wird die Fülle an Studien, die medikamentöse Abtreibungen als sicher einschätzen; in weniger als einem Prozent der Fälle kommt es zu einem Spitalsaufenthalt. Kacsmaryk selbst, der 2019 von Donald Trump zum Bundesrichter auf Lebenszeit ernannt wurde, hat in seiner Entscheidung anstatt medizinischer Fachbegriffe die Wortwahl von Abtreibungsgegnern übernommen, sprach etwa nicht von Föten, sondern "ungeborenen Menschen".

Frage: Ist das Medikament durch das Urteil jetzt verboten?

Antwort: Nein, das Verbot sollte eine Woche nach Verkündung in Kraft treten. Die Regierung von Präsident Joe Biden reichte aber einen Notfallantrag auf Zulassung von Mifepriston beim Supreme Court ein. Das Höchstgericht hat dann vergangenen Freitag mit einer einstweiligen Verfügung veranlasst, dass das Medikament vorerst bis kommenden Mittwoch erhältlich bleibt. Bis dahin wird eine Entscheidung des Supreme Court in dem Fall erwartet.

Frage: Wie wahrscheinlich ist es, dass der Supreme Court Kacsmaryks Entscheidung aufrechterhält?

Antwort: Das ist unklar. Am US-Höchstgericht gibt es seit der Präsidentschaft von Donald Trump eine solide konservative Mehrheit von sechs zu drei. Bereits vergangenes Jahr hat der Supreme Court das rund 50 Jahre geltende Grundsatzurteil Roe v. Wade und damit das landesweite Recht auf Abtreibung bis zur Lebensfähigkeit des Fötus gekippt. Allerdings gibt es bisher keinen Präzedenzfall, was Gerichtsentscheidungen betrifft, die die Zulassung von durch die FDA zugelassenen Medikamenten betrifft. Das hätte weitreichende Folgen für andere Medikamente, die durch Richter ohne medizinische Ausbildung verboten werden könnten.

Frage: Wie steht die Bevölkerung zum Thema Abtreibung?

Antwort: Mehr als 60 Prozent der US-Bevölkerung befürworten, dass Schwangerschaftsabbrüche in allen oder den meisten Fällen legal sind. Bei den Midterm-Wahlen im vergangenen November und zuletzt bei der Höchstgerichtswahl in Wisconsin hat sich auch gezeigt, dass sich die Republikanische Partei bei dem Thema politischen Schaden zufügt. Dennoch haben seit dem Supreme-Court-Urteil vom vergangenen Jahr viele republikanisch geführte Bundesstaaten Abtreibungen massiv eingeschränkt oder ganz verboten. Zuletzt wurden etwa in Florida Abtreibungen ab der sechsten Woche verboten. In Idaho wurde die Reisefreiheit ungewollt schwangerer Minderjähriger drastisch eingeschränkt.

Frage: Was würde es bedeuten, wenn Mifepriston die Zulassung verlöre?

Antwort: Es wäre nicht illegal, Mifepriston zu besitzen oder einzunehmen, aber das Medikament wäre nicht mehr erhältlich und könnte nicht mehr von medizinischem Personal verschrieben werden. Das würde nicht nur Texas betreffen, wo ein Richter so geurteilt hat, und auch nicht nur jene Bundesstaaten, in denen Abtreibung verboten ist, sondern das gesamte Land. Zahlreiche ungewollt Schwangere müssten auf weniger sichere Methoden zurückgreifen, um eine Abtreibung vorzunehmen. (Noura Maan, 17.4.2023)