Vor ein paar Tagen in der U-Bahn: Ich höre die laute Stimme einer Frau, die telefoniert. Sie habe so Angst gehabt: "Ich habe mich kaum mehr aufrecht halten können in diesem Wind." Ich steige am Praterstern aus, da erfasst auch mich der Sturm, weht mir die Haube vom Kopf, das hatte ich noch nicht erlebt. Und der Wind war kalt. Heftiger Wind und sehr kalt, das ist ein eigenes, besonderes Gefühl, es geht durch und durch.

Ich erinnere mich: Es muss im Jahr 2007 gewesen sein, wir gingen auf der Donauinsel spazieren, es begann heftig zu regnen, viel beeindruckender aber war der Wind. Wir gingen über eine glattgewehte Wasserfläche auf der Wiese und konnten uns im Sturm gerade noch aufrecht halten und weiterbewegen. Ich dachte damals, wenn der Wind jetzt noch stärker wird, dann können wir nur noch auf allen Vieren kriechen. So weit kam es dann nicht.

Ich erinnere mich: Vor etwa zwei Jahren sah ich in Niederösterreich eine Windhose am Horizont und dachte - gibt es das auch bei uns? In den Nachrichten hörte ich: Ja, manchmal gibt es Wirbelstürme auch bei uns, und sie werden mehr. Ich erinnere mich an die Medienberichte im Sommer über den Tornado in Tschechien: Dächer fielen auf die Straße, sechs Menschen kamen um, Autos flogen durch die Luft, zurück blieb eine Strecke vollkommener Verwüstung.

Deutschland wurde heuer von einer Jahrhundertflut heimgesucht. So weit weg ist die Klimakrise nicht.
Foto: EPA/SASCHA STEINBACH

Das Lebensgefühl wird sich ändern

Bis heute läuft das Reden über den Klimawandel hierzulande immer noch mehrheitlich gemütlich nach dem Motto ab: "Uns betrifft's ja nicht!" In Kalifornien brennt es gewaltig, aber uns betrifft's ja nicht. Hitze bis 50 Grad Celsius in Kanada und fast so viel in Griechenland? Schlimm, aber uns betrifft's ja nicht. Gletscher schmelzen ab, hier bei uns, ja, aber uns betrifft's ja nicht. Permafrost taut auf? Eisschollen tauen auf? Eisbären finden keine Nahrung mehr und kommen in bewohnte Gebiete? Ja, aber uns betrifft's ja nicht. Überschwemmungs-Katastrophe in Sizilien? Schreckliche Bilder, aber uns betrifft's ja nicht.

Wie wird das Bewusstsein in zehn Jahren sein? Wenn die Stärke der Winde weiter zunimmt, so wie Starkregen, Muren und Hitze laufend zunehmen? Wenn man auf der Straße öfters von einem Sturm erfasst wird, der einen erschüttert und der fallweise Äste, Dachziegel und anderes mit sich führt? Man - gemeint ist die weit überwiegende Mehrheit - wird einfach wissen, dass es der Klimawandel ist, den man spürt, in diesem Sturm. Man wird spüren: Es betrifft mich, mich persönlich. Auch in der Hitze, im Starkregen und in den Muren, in den Stromausfällen wegen zerstörter Leitungen und vielem mehr wird man direkt und intensiv den Klimawandel spüren.

Die Diskussion wird eine andere sein, das Lebensgefühl wird anders sein. Die Erkenntnis, dass man wirklich alles tun muss, was möglich ist, um diese Entwicklung doch noch irgendwie aufzuhalten, wird zum selbstverständlichen Ausgangspunkt jedes Gesprächs werden. Der Überlebenstrieb wird neu und wach sein und zur Triebfeder werden. Manche bewussteren Menschen, überall auf der Welt, haben dieses Gefühl allerdings schon jetzt; einige wenige haben es bereits seit Jahrzehnten. (Rudolf Schwarz, 13.12.2021)

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