Im Gastkommentar kritisiert Europarechtsexperte Stefan Brocza die klagsfreudige Haltung der Ministerin und die Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung im Klimarat.

Wegweisend? Leonore Gewessler lässt an mehreren Wochenenden Bürgerinnen und Bürger über Klimapolitik debattieren.
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Jüngste Entscheidungen und Wortmeldungen von Klima- und Umweltministerin Leonore Gewessler lassen einen Hang zur Postdemokratie erkennen. Dabei wird nicht davor zurückgeschreckt, Realitäten nur dann politisch anzuerkennen, wenn sie ins eigene politische Weltbild passen. Man schert sich wenig um demokratische Prozesse und noch weniger um Mehrheiten, wenn diese nicht dem Dogma "grüner Politik" folgen.

Da wird – im Falle der Taxonomieverordnung – schon einmal wüst gegen Brüssel und die EU polemisiert und mit Klagen gedroht, als noch nicht einmal ein Entwurf auf dem Tisch lag. Quasi zur Vorbereitung hatte man sich ein Gutachten bei einer deutschen Anwaltskanzlei bestellt, die offensichtlich gern auch einmal prominente Wirtschafts- und Korruptionsfälle vertritt – von Helmut Kohl bis zum Sohn von Franz Josef Strauß reicht die illustre Liste von Klienten, künftig dann wohl auch die Republik Österreich.

Absagen und verteufeln

Bekämpft werden soll ein "delegierter Rechtsakt" der EU-Kommission, der auch noch durch den EU-Ministerrat und das Europaparlament muss. Aber egal, Österreichs Klimaministerin ist sich bereits jetzt sicher: Auch wenn eine breite Mehrheit der EU-Staaten und der EU-Parlamentarierinnen und -Parlamentarier damit kein Problem hat – sie hat eines und ist daher nicht gewillt, einen entsprechenden Beschluss zu akzeptieren. Das erinnert zwar alles ein wenig an Donald Trump und die Überzeugung, dass demokratisch mit Mehrheit zustande gekommene Entscheidungen nur dann auch akzeptiert werden, wenn sie dem eigenen Willen entsprechen. Alles andere wird abgelehnt und geklagt.

In dieser postfaktischen Politikwelt schert man sich auch wenig um geltendes Recht und lässt über seine Kapitalvertreter schon einmal den Bau eines beschlossenen und bewilligten Tunnels in Wien absagen, um zeitgleich den verteufelten Schnellstraßen- und Autobahnbau in Oberösterreich voranzutreiben. Gleichzeitig wird "geframt" und vom Bau einer "Stadtautobahn" gesprochen, wo doch nur die Stadt Wien eine Gemeindestraße bauen will – zur Anbindung eines neu entstehenden Stadtteils für zehntausende Menschen. Der Unterschied in den beiden Fällen liegt nicht in der Sorge um die Umwelt, sondern wohl primär darin, dass die Grünen in Wien aus der Regierung gefallen sind, in Oberösterreich aber mit am Regierungstisch sitzen.

Nicht repräsentativ

Neueste Errungenschaft dieser grünen Politik ist der "Klimarat". Hier sollen 100 nicht gewählte und niemandem verantwortliche Personen hinter mehr oder weniger verschlossenen Türen unter der engen Anleitung von Expertinnen- und Expertenteams und diversen Beiräten Vorschläge für die Klimapolitik erarbeiten, die dann von Regierung und Parlament brav umgesetzt werden sollen. Mit Demokratie und politischer Verantwortung hat das alles nur noch wenig zu tun. Eher mit gelenkter Politik.

Die Statistik Austria mag zwar repräsentativ 2.000 Menschen für den Klimarat identifiziert haben – die endgültige Entscheidung, wer denn nun die 100 Personen im Klimarat sind, erfolgte aber nach Auswertung eines Fragebogens zur persönlichen Einstellung zu dem Thema. Oder wie es die Ministerin im Interview mit dem STANDARD ausdrückte: ob sich die Betreffenden schon einmal mit Klimafragen beschäftigt hätten. Das hat zwar dann nichts mehr mit "repräsentativ für die Gesamtbevölkerung" zu tun – es lässt sich damit aber sicher besser arbeiten.

Forderungen und Ideen

Dass es sich bei diesem Klimarat wohl eher um eine Art "gelenkte Fokusgruppe" handelt, war spätestens nach der ersten Sitzung klar. Nach wenigen Stunden sollen da 100 Menschen, die sich zuvor noch nie gesehen haben, die keinerlei Erfahrung im Ablauf solcher Treffen oder gar im Formulieren von Texten zur Klimapolitik haben, sich auf Forderungen und Ideen geeinigt haben.

Jeder Mensch, der schon einmal an einer Wohnungseigentümerversammlung zur Erstellung einer neuen Hausordnung oder auch nur an einem Elternabend teilgenommen hat, weiß, dass das mehr als unrealistisch ist. Hier wird Basisdemokratie vorgetäuscht, wo doch nur postfaktischer Polit-Fake herrscht. Hier werden Einstellungen und Meinungen quasi auf Knopfdruck generiert, deren Wahrheitsgehalt wohl eher auf dem Niveau eines ominösen "Tools" türkiser Politikgestaltung liegt.

Kein Vorbild

Langfristig werden damit demokratiepolitische Grundsätze untergraben. Wie der sprichwörtliche Zauberlehrling etabliert die grüne Klimaministerin Gewessler gerade ein ganzes Set an postdemokratischen Polit-Werkzeugen. Was hält in der Zukunft etwa einen FPÖ-Innenminister davon ab, einen bürgerbesetzten "Migrations- und Asylrat" zu etablieren? Der dann repräsentativ für Volkes Stimme erarbeitet, wie man mit Asylwerbenden und Wirtschaftsflüchtlingen verfahren soll?

Wir werden uns noch alle wundern, was alles möglich ist mit diesen grünen Polit-Instrumentarien. (Stefan Brocza, 9.2.2022)