Manches aus den 1990er-Jahren fühlt sich heute nicht mehr politisch korrekt an. Die Fans lieben es trotzdem.

Foto: Wizards of the Coast/Clyde Caldwell

Es ist erst wenige Wochen her, da haben wir an dieser Stelle eifrig darüber diskutiert, ob man das von den "Harry Potter"-Romanen inspirierte ""Hogwarts Legacy" wegen als transphob wahrgenommener Aussagen der Autorin J.K. Rowling boykottieren sollte. Unabhängig von dieser Debatte freuten sich die Fans des Franchises allerdings darüber, die Welt aus den Büchern endlich selbst – zumindest virtuell – bereisen zu können. Und es sollte nicht das einzige Comeback aus den 1990er-Jahren sein, das uns in den vergangenen Monaten bewegt hat.

Comeback der Legenden

Da wäre etwa das im Vorjahr veröffentlichte "Return to Monkey Island", das nicht etwa an die jüngeren Teile der Serie vom Anfang des aktuellen Jahrtausends anknüpft, sondern sich als Fortsetzung der ersten beiden Spiele von 1990 und 1991 versteht. Tätig waren dafür die Originalschöpfer selbst: Ron Gilbert und Dave Grossman sowie Komponist Michael Land.

Es sind nicht die einzigen legendären Schöpfer aus den 1990er-Jahren, die wieder ins Rampenlicht treten, wenn auch in anderen Genres. Zum Beispiel in der Fantasyliteratur. So erschienen die "Drachenlanze"-Romane von Margaret Weis und Tracy Hickman in englischer Sprache zwar schon ab 1984, die deutsche Übersetzung sorgte aber erst ab 1989 dafür, dass Jugendliche stundenlang in ihren Kinderzimmern verharrten. Beheimatet in der Pen&Paper-Welt von Dungeons&Dragons, wurde die phantastische Welt von Krynn auch in diverse Computerspiele übertragen.

Nach längeren Rechtsstreitigkeiten hat das Duo die Fans im Vorjahr nun wieder mit einem neuen Roman beglückt, mit zwei weiteren soll eine nee Trilogie entstehen. Dungeons&Dragons lieferten im Dezember 2022 ein neues Pen&Paper-Abenteuer rund um den krieg der Lanze, ein Brettspiel soll dieses ergänzen. Außerdem ist Medienberichten zufolge eine TV-Serie geplant. Weis selbst macht sich dabei auch gerne einen Spaß daraus, Zeichnungen aus längst vergangenen Zeiten auf Twitter zu teilen, die heute wohl keine Political-Correctness-Test mehr überstehen würden.

Die coolen Kids von damals

Im Herbst 2021 kamen mit "Age of Empires 4" die Fans von Echtzeitstrategie auf ihre Kosten, die früher mit Titel wie "Dune 2" und "Command & Conquer" die zweitcoolsten Kids in der Nerd-Ecke des Pausenhofs waren – kurz nach den härteren Jungs, die T-Shirts von Blind Guardian trugen, ständig irgendwas von Satan redeten und jedes Geheimlevel von Titeln wie "Doom" und "Heretic" im Halbschlaf ausfindig machen konnten.

Für die erste Kategorie gibt es mit Titeln wie "Dune: Spice Wars" frische Kost, die sogar im gleichen Franchise angesiedelt ist wie der RTS-Klassiker von 1992. Für die anderen gibt es seit ein paar Jahren ein Genre, das den Stil von "Wolfenstein" und "Doom" in modernen Games wie "Forgive me Father" und "Supplice" nachahmt.

Als "Boomer Shooter" wird dieses Genre von diversen Youtubern – vornehmlich der Generation Z – bezeichnet. Gemeint ist: Spiele für alte Menschen, die noch einmal die Gefühle damals aufleben lassen wollen. Ouch. So alt sind die doch noch gar nicht, oder?

Die lohnende Zielgruppe

Nein, sind sie wirklich nicht. Wer in seiner Jugend die oben genannten Spiele gespielt und Romane gelesen hat, der ist nun zwischen 40 und 50 Jahren alt. Also kein Baby Boomer, sondern irgendwo zwischen Generation X und Y angesiedelt.

Und das ist eine Zielgruppe, die es zu bedienen lohnt. Denn viele von ihnen haben inzwischen Karriere gemacht und die wichtigsten Anschaffungen des Lebens getätigt, verfügen also über eine gewisse Kaufkraft. Wenn zum 50-Stunden-Job dann auch noch Kinder hinzu kommen, dann hat man wenig Zeit, sich auch noch mit aktuellem popkulturellen Kram zu beschäftigen – sondern nimmt dankend an, was man kennt.

Und sprechen wir es doch mal offen an: Vieles von dem, was uns verkauft wird, ist nichts anderes als Fan-Service. Das gilt für "Return to Monkey Island", das vor allem die offenen Fragen des zweiten Teils beantwortet. Es gilt für den neuen "Drachenlanze"-Roman "Dragons of Deceit", in dem es gefühlt auf den ersten 100 Seiten ausschließlich um solamnisches Erbrecht geht. Und es gilt vor allem für die ganzen Neuauflagen alter Games, die meist nur alte Spielkonzepte technisch aufhübschen.

Ich bin ein Marketing-Opfer

Ist das schlimm? Nein, denn zwar ziehen und die Publisher dabei das Geld aus den Taschen wie ein gut gelaunter Kender auf einem Dorffest voller ahnungsloser Bauersleute – im Gegenzug geben sie uns aber das, was wir wollen.

"Dragons of Deceit" kann qualitativ zwar freilich nicht mit der Original-Trilogie mithalten, trotzdem habe ich das Werk verschlungen, weil es sich schlichtweg angefühlt wie ein Klassentreffen mit alten Freunden wie Tolpan Barfuss und Caramon Majere. Und beim Spiele von "Return to Monkey Island" hatte ich die ganze Zeit über ein verträumtes Lächeln auf den Lippen – man muss aber auch dazu sagen, dass ich lange vor meiner Zeit beim STANDARD zu jenem Team aus verrückten Underdogs gehörte, die 2008 die "Monkey Island Revival Party" im Wiener WUK organisierten. Wer sich noch daran erinnern kann, der war nicht wirklich dort.

Und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mit meiner Einstellung nicht alleine bin. Viele von uns genießen es heimlich, bewusst oder unbewusst ein Leben als Marketing-Opfer zu leben. Und wir lechzen nach mehr, warten zum Beispiel noch immer sehnsüchtig auf den nächsten Teil von "Jagged Alliance".

Und wenn wir schon dabei sein: Können wir "Dragonlance"-Fans bitte das Gleiche bekommen wie die "Harry Potter"-Community? Für ein Open-World-Abenteuer in der Welt von Krynn, in dem ich durch die Baumwipfel von Solace klettern kann, würde ich durch die Hölle gehen wie einst Raistlin Majere. Von mir aus auch mit einem Soundtrack von Blind Guradian. Damit die coolen Kids von damals auch auf ihre Kosten kommen. (Stefan Mey, 16.4.2023)