In dem tannengrün gestrichenen Stand steht Patricia Pölzl hinter dem Tresen und wendet geschickt mit einer Zange die Würste. Routiniert nimmt sie die Bestellungen auf, holt Getränkeflaschen aus dem Kühlschrank und schneidet die Wurst in kleine Stücke. Um das Häuschen sind vier Stehtische platziert, an einem davon trinken zwei Männer seelenruhig aus ihren Bierflaschen, ehe sich eine Reisegruppe zu ihnen gesellt.

Pölzls Imbissstand, der "eh scho wuascht" heißt, befindet sich in ungewöhnlicher Lage beim Wiener Zentralfriedhof. Seit vergangenem Oktober essen ihre Gäste Käsekrainer und Frankfurter mit Blick auf das zweite Friedhofstor. Die Unternehmerin zählt zu den Jüngsten in der Würstelstandszene. Den Standort am Zentralfriedhof entdeckte sie vor etwas mehr als einem Jahr zufällig beim Spazierengehen. Die ungewöhnliche Lage faszinierte sie sofort. Sie meldete sich ganz altmodisch per Brief beim ehemaligen Imbissbesitzer, das dürfte diesen überzeugt haben. Dass sie mit 25 Jahren bereits Gastronomin ist, sieht sie allerdings entspannt. "Die meisten denken auf den ersten Blick nicht daran, dass ich die Eigentümerin bin. Ich finde das angenehm, die Leute sind ehrlicher, wenn sie nicht wissen, dass sie mit der Chefin reden", scherzt Pölzl. Ihre Arbeitstage sind lang. Auch wenn der Stand aktuell um 18 Uhr schließt, kommt die Unternehmerin nicht vor neun Uhr abends nach Hause. Sie räumt danach auf, macht Inventur und kümmert sich um die Bestellungen. Bald soll ihr eine Mitarbeiterin unter die Arme greifen.

Patricia Pölzl in ihrem Würstelstand beim Zentralfriedhof.
Foto: Elena Sterlini

Die Kundschaft ist bunt gemischt. Neben Angehörigen von Verstorbenen oder Fans von Falco, dessen Grab sich auf dem Areal befindet, kehren auch Friedhofsangestellte bei der jungen Frau ein. Beim Würstelstand seien alle gleich, das gefalle ihr besonders, sagt die 25-jährige. Eine Gemeinsamkeit teilen sich ihre Gäste jedenfalls: Ottakringer Bier bestellt hier niemand. Das "16er-Blech" ist in Simmering wohl weniger angesagt. Deshalb steht statt den gelben Blechdosen jetzt Wieselburger in Pölzls Kühlschrank. Ihren Würstelstand will die gebürtige Waldviertlerin übrigens "ins Jahr 2023 bringen", aber dabei nicht auf Tradition verzichten. Ist der Spagat zwischen Alt und Modern beim Würstelessen mit Friedhofsambiente gelungen?

Kein Hipster-Würstelstand

Anders als einige Würstelstände in den inneren Bezirken Wiens, die auch Speisen wie "Kukuruzzi Fritti" mit Limetten-Chili-Mayo anbieten, setzt Pölzl auf eine betont traditionelle Speisekarte. Der Standort in Simmering ziehe vorwiegend Publikum ab 50 Jahren an. Ein "Hipster-Würstelstand" würde in dieser Lage nicht funktionieren, so die Besitzerin. Am beliebtesten sei die Käsekrainer mit Alpen-Emmentaler, die 4,70 Euro kostet. Dazu gibt es verschiedene Saucen und Biogebäck. Zur Auswahl stehen Schwarzbrotscheiben und Semmeln. Hungrige können unter anderem Bratwurst, Frankfurter oder Waldviertler bestellen. Die Würstel gibt es auch als Hotdog. Preislich liegen die Speisen ungefähr zwischen vier bis fünf Euro, das Zahlen mit Bankomatkarte ist möglich.

Käsekrainer werden beim Würstelstand "eh scho wuascht" am häufigsten bestellt.
Foto: Elena Sterlini

Um das schmackhafteste Angebot zu finden, veranstaltete Pölzl eine Würstelverkostung mit 25 Freundinnen und Freunden. Am Ende fiel die Wahl auf die Metzgerei Wild im Gaweinstal. Warme Beilagen wie Pommes sucht man im Menü vergebens. Stattdessen gibt es Essig- und Salzgurken, die die junge Frau mit einer kleinen Zange aus bauchigen Gläsern herausfischt. "Essen Sie es gleich?", fragt sie dann jedes Mal und hält den Hungrigen beherzt die Gurke entgegen. Außerdem bietet Pölzl Manner-Schnitten und Naschsackerln aus verschiedenem Haribo-Gummizeug an.

Der Stand "eh scho wuascht" kommt ohne ausgefallene Speisen und kulinarischen Schnickschnack daher. Dafür überzeugt die Qualität. Nicht nur einmal murmeln die Gäste an diesem Aprilnachmittag "Mmh, das schmeckt gut", oder sie verabschieden sich mit lobenden Worten. Nach einem Selbsttest kann man sich diesem Urteil nur anschließen: Diese Wurst hebt sich geschmacklich deutlich von der gängigen Ware bei anderen Ständen ab. Die Konsistenz ist knackig, und das gut gewürzte Fleisch liegt nicht schwer im Magen. Wer mit etwas Alkoholischem aufs Leben anstoßen möchte, kann zum Beispiel Wiener Brise bestellen. Der Pfefferminzlikör ist eine in Wien hergestellte Abwandlung der bekannten Berliner*innen Luft.

Würstel-Kunst

Ganz traditionell bleibt es am Ende aber doch nicht. Auf dem Menü steht eine vegane Seitanwurst, die Wartezeit beträgt zehn Minuten. Mit einem Preis von 5,20 Euro handelt es sich bei der pflanzlichen Variante um den teuersten Hotdog auf der Karte. Laut Pölzl werde die Seitan-Alternative seltener bestellt, trotzdem ist es ihr wichtig, das vegane Angebot beizubehalten. Auch das Würstelstand-Logo vom befreundeten Künstler Gunther Gerger kommt hip daher. Abgebildet ist ein Würstel in einer Schnapsflasche samt Spießchen in Kreuzoptik. Die Grafik sieht aus wie ein Leuchtschild.

Das von Gunther Gerger entworfene Logo setzt moderne Akzente beim Würstelstand am Zentralfriedhof.
Foto: Dreh & Schnitt

Demnächst wird auch Gergers Kunstwerk "Würstelschlaraffenland" auf dem Stand installiert. Darauf zu sehen ist unter anderem eine würstelessende Beethoven-Karikatur mit Pappteller und Pfefferoni. Daneben prangt das Zitat: "Solange der Österreicher noch braun's Bier und Würstel hat, revoltiert er nicht." Diese Worte soll der Komponist übrigens im Jahr 1794 an seinen Verleger geschrieben haben. Über Beethovens Aussage kann man in Ruhe und mit Käsekrainer im Bauch sinnieren, während die Straßenbahn vorbeirauscht und die Menschen sich vor dem Friedhofstor tummeln. Auch Pölzl findet den Tod außerhalb der Friedhofsmauer nicht sehr präsent. Mit der Straßenbahnhaltestelle vor der Nase und den vielen Besucherinnen und Besuchern gehe es bei ihrem Stand überaus lebendig zu.

Gelegentlich kommen Angehörige nach einem Begräbnis zu Pölzl und trinken einen Schnaps zu Ehren der verstorbenen Person. Das sind die besonderen Momente in ihrem Berufsalltag. Eine gute Stunde vor Ladenschluss treten zwei Gäste nach dem Käsekrainer-Essen ein zweites Mal an den Verkaufstresen. Sie bestellen jeweils drei Flaschen Himbeerkracherl. Ein Mann in seinen Dreißigern sagt: "Die Limonade erinnert mich an meine Kindheit. Sonst bekomme ich das nirgendwo, also schlage ich jetzt zu." Prost! (Elena Sterlini, 27.4.2023)