Böllerschüsse, schwankende Kutschen, klingendes Spiel und verhaftete Demonstranten – im Londoner Regen begingen die Briten am Samstag die Krönung von König Charles und Königin Camilla. Im Zentrum der Feiern stand der feierliche Gottesdienst in der Westminster Abbey, wo der 74-jährige Monarch zunächst seinen Eid ablegte, ehe er vom anglikanischen Erzbischof Justin Welby gesalbt und gekrönt wurde.

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DER STANDARD

Um den reibungslosen Ablauf des zentralen Spektakels in der royalen Kirche zu ermöglichen, mussten die rund 2.300 geladenen Gäste bereits ab 8 Uhr Ortszeit erscheinen, obwohl die Messe erst um 11 Uhr begann. Unter Popmusiker wie Nick Cave und Lionel Ritchie, Staatsführer wie die Präsidenten von Brasilien und Frankreich, Lula und Emmanuel Macron, mischten sich jene glücklichen Bürger, die wegen ihres ehrenamtlichen Engagements eine Einladung erhalten hatten.

Charles III. und Camilla wurden am Samstag gekrönt.
Foto: APA/AFP/POOL/ADRIAN DENNIS

Harry kam ohne Familie

Unauffällig verlief der Einzug von Charles‘ jüngerem Sohn Harry; der mittlerweile in Kalifornien lebende, vom Königshaus entfremdete Prinz hatte monatelang offengelassen, ob er an der Feier teilnehmen würde. Seine Gattin Meghan und die beiden Kinder – der Erstgeborene Archie feierte am Samstag seinen vierten Geburtstag – waren in Montecito geblieben.

Ob es Buhrufe gegeben hätte für die Herzogin, deren Popularität im Königreich zuletzt gelitten hat? Buhrufe für die Institution der Monarchie hatten einige Hundert Demonstranten geplant, die sich unter dem Banner der Lobbygruppe "Republic" versammelt haben. Am Trafalgar Square wurden sie sorgfältig vor den Kameras und Mikrofonen der BBC verborgen, der öffentlich-rechtliche Sender ließ auch keinen Monarchie-Gegner zu Wort kommen. Offenbar hatten die Verantwortlichen dem Palast ein Vetorecht darüber eingeräumt, was übertragen werden sollte und was nicht.

52 Festnahmen

Ein Interview mit "Republic"-Chef Graham Smith wäre schon deshalb schwierig gewesen, weil Beamte den eloquenten Republikaner unter fadenscheinigen Vorwänden in Gewahrsam nahmen. Insgesamt kam es zu 52 Festnahmen. Man habe eine "extrem niedrige Toleranz" gegenüber Störern, hieß es bei Scotland Yard – ein Statement, das eine Sprecherin von Human Rights Watch als "sehr alarmierend" bezeichnete. Die konservative Regierung von Premier Rishi Sunak hat im vergangenen Jahr ein drakonisches neues Polizeigesetz verabschiedet, das den Ordnungshütern weitreichende Vollmachten einräumt.

Der gläubige Hindu Sunak gehörte wie eine Jüdin, ein Muslim und Sikh zu den Akteuren des christlich-anglikanischen Gottesdienstes: Der Premierminister verlas die Epistel aus dem Kolosserbrief des Paulus. Auch Frauen spielten eine zentrale Rolle. So verlas die Bischöfin von London das Evangelium aus dem Lukas-Evangelium. Penelope Mordaunt, im normalen Leben konservative Ministerin für das Gesetzgebungsprogramm der Regierung im Unterhaus (Leader of the House), erhielt Bewunderung für die stoische Ruhe, mit der sie das 3,6 Kilo schwere Staatsschwert in Gleichgewicht hielt. Der Erbadelige Rupert Carrington, als Oberkammerherr für das Gelingen des Tages mitverantwortlich, lobte die Armeereservistin als "perfekt für ihre Rolle". Weil nie zuvor eine Frau als Schwertträgerin gedient hatte, musste die 50-Jährige ihre Uniform selbst entwerfen und bezahlen.

Große Nervosität

Wie nervös viele der Beteiligten waren, zeigte sich in der Tatsache, dass fast alle ihre kurzen Einlassungen von eigens angefertigten Spickzetteln ablasen. Das galt im Fall des Erzbischofs auch für einfachste religiöse Formeln, die eigentlich jeder Geistliche im Schlaf hersagen kann.

Erzbischof Justin Welby und der König.
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Welby, 67, hatte vorab für eine politische und religiöse Kontroverse gesorgt. In der vor Wochenfrist veröffentlichten Gottesdienst-Ordnung war von der Aufforderung des Erzbischofs an die Gemeinde die Rede, Menschen in der Kirche ebenso wie vor den Radio- und Fernsehgeräten sollten dem König "huldigen". Die vorgeschlagenen Worte entsprachen im Wesentlichen dem Eid, den Zuwanderer bei ihrer Einbürgerungszeremonie leisten müssen. Allerdings besteht dabei die Möglichkeit, "feierlich zu bekräftigen" anstatt sich auf eine Religion zu berufen.

Welby erhielt sofort heftigen Widerspruch, nicht zuletzt von Klerikern selbst. Offenbar bekam daraufhin der König kalte Füße. Jedenfalls schickte er am Freitag seinen alten Freund und Biographen, den TV-Journalisten Jonathan Dimbleby, an die Medienfront. Die ganze Idee sei "gut gemeint, aber nicht durchdacht", teilte der 78-Jährige wegwerfend mit: "Soweit ich weiß wollte der König noch nie, dass ihm jemand huldigt, es sei denn im Spaß." Eilends änderte die Staatskirche den Ablauf: Statt zu huldigen wurden die Briten nun lahm dazu aufgerufen, ihren Monarchen "zu unterstützen".

Auf ausdrücklichen Wunsch des Königs hatte sich der legendäre Dirigent John Eliot Gardiner – die beiden kennen sich als Schafzüchter – um die Musik des Tages gekümmert. Dementsprechend bekamen die frühen Gäste Auszüge aus dem Magnificat und der Kantate "Singet dem Herrn" von Johann Sebastian Bach zu hören. Im Lauf des Gottesdienstes sank das Niveau, insbesondere dann, wenn die uninspirierte Krönungsmusik englischer Komponisten wie William Boyce (für George III 1761), Hubert Parry (für Eduard VII 1902) und William Walton (für Elizabeth II 1953) erklang.

Eigens zusammengestelltes Ensemble

Hingegen beeindruckte das Gospelensemble Himmelfahrtschor mit einer Neuinterpretation des "Halleluja", komponiert von der 59-jährigen Londonerin Debbie Wiseman; mit strahlendem Lächeln quittierte Prinzessin Kate die enthusiastische Darbietung der je vier Sängerinnen und Sänger. Nahtlos fügte sich auch der byzantinische Sprechgesang eines eigens für die Krönung zusammengestellten Ensembles in das Geschehen ein. Charles hatte sich die Musik aus der Liturgie der griechisch-orthodoxen Kirche gewünscht zur Erinnerung an seinen Vater Philip, der 1921 als Prinz von Griechenland zur Welt gekommen war.

Reibungslos verlief am Nachmittag, trotz tiefhängender Wolken und Dauerregen, der Auftritt der Königsfamilie auf dem Balkon des Buckingham-Palastes und der Vorbeiflug von Hubschraubern und Düsenjets der Royal Air Force. Zu besichtigen waren die sogenannten "working royals" sowie deren Kinder und Enkel; weder Prinz Harry noch Charles‘ Bruder Andrew, dem ein Sexskandal anhängt, waren geladen. Der König hat seit langem versprochen, er wolle die Institution verschlanken. Das wird schon aus biologischen Gründen gelingen: Viele der noch aktiven Royals, etwa zwei Cousins der verstorbenen Queen, haben die 70. Jahresgrenze bereits überschritten und dürften sich demnächst in den Ruhestand zurückziehen. Hingegen wartet auf Charles, 74, und Camilla 75, viel Arbeit. (Sebastian Borger aus London, 6.5.2023)