Clemens Brugger trat hart in die Pedale. Mehr als 20 Zustellungen schaffte der 49-Jährige in sechs Stunden. 70 Kilometer legte er dafür mit dem Rad zurück. Keiner in seinem Team in Slowenien konnte ihn bisher schlagen. Tempo machen will der Tiroler Betriebswirt auch in Österreich. Seine schärfsten Rivalen werden jedoch nicht Bürokollegen, sondern Lieferando und Foodora.

Nach der Expansion in 24 Länder versucht Wolt sein Glück in Österreich. Der Markt ist ein hartes Pflaster und brachte schnelle Zusteller reihenweise zu Fall.
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Brugger führt die Geschäfte des Essenszustellers Wolt in Slowenien. Nun lenkt er dessen Geschicke auch in Österreich. Wolt expandierte von Helsinki aus seit 2014 in 25 Länder. 2021 ließ sich US-Branchenführer Doordash die Übernahme des jungen Dienstleisters gut sieben Milliarden Euro kosten. Mittlerweile radeln Zusteller in 500 Städten mit seinen blauen Rucksäcken um die Wette. Seit Beginn dieser Woche versucht Wolt sein Glück auch in Wien.

Der Markt ist ein hartes Pflaster, der schnelle Botendienste reihenweise zu Fall brachte. Mobilen Supermärkten wie Flink gelang in Österreich nicht mehr als ein kurzes Gastspiel. Zu kurz war der Auftragsboom während der Corona-Zeit, um finanzielle Reserven aufzubauen. Zu erbittert wird der Kampf um Zustellungen ausgetragen, seit Restaurants und Gastgärten eine Renaissance erleben. Vom Sprung in die Gewinnzone ist das Gros der Anbieter meilenweit entfernt.

Ende der Goldgräberstimmung

Ihm sei bewusst, dass die Goldgräberstimmung in seiner Branche vorbei sei, sagt Brugger im Gespräch mit dem STANDARD. Doch Wolt habe sich dank konservativer finnischer Unternehmenskultur bisher aus keinem einzigen Markt zurückziehen müssen. "Wir sind nach Österreich gekommen, um zu bleiben."

Brugger sieht die Welt der Zustellungen erst am Beginn einer großen Wachstumskurve. Für Amazon seien Bücher das große Sprungbrett für die Expansion gewesen – für Wolt sei es die Gastronomie. Das Ziel des Dienstleisters ist es, dank komplexer Technologie zur App für alles zu werden. Brugger führt Blumen, Alkohol, Sextoys, Corona-Tests sowie Christbäume ins Treffen, die das Unternehmen international ausliefert. "Wir werden lokalen Betrieben auch in Österreich helfen, Ware in den Markt zu bekommen."

Moderne Tagelöhner

Als Arbeitgeber ist Wolt für Gewerkschafter ein rotes Tuch. Quer durch Europa, von Finnland über Tschechien bis nach Griechenland und Israel, gingen seine Rider heuer wie im Vorjahr gegen niedrige Löhne auf die Straße. Sie alle verdingen sich als freie Dienstnehmer.

Anstellungen mit damit verbundenen sozialen Absicherungen sieht Wolt auch in Österreich nicht vor – und hält es damit wie Mjam. Die Beschwerden über prekäre Arbeitsbedingungen über den Zusteller, der seit Mai wieder unter dem Namen Foodora fährt, reißen nicht ab.

Die Politik sah sich in Österreich wie in Europa bisher wenig bemüßigt, Plattformarbeit stärker zu regeln. Eine starke politische Lobby hat das Heer von modernen Tagelöhnern, das vor allem von Menschen mit Migrationshintergrund gespeist wird, nicht.

Im Namen der Freiheit

Foodora wie Wolt verteidigen ihre Beschäftigungsmodelle nahezu wortgleich: Hohe Flexibilität sei von der überwiegenden Mehrheit seiner Boten gewollt, sagt Brugger. Abgesichert seien sie in Österreich über ihre Sozialversicherungsbeiträge. Es sei "ein zeitgemäßes Modell".

Dass sogenannte Freiheit einen hohen Preis hat, wie Arbeitsrechtsexperten warnen und vor Dumpinglöhnen und fehlendem Schutz warnen, lässt Brugger nicht gelten. Wolt zahle in Österreich ein Drittel über dem Mindestlohn. Zusteller könnten jede Order ablehnen, ohne dass dies für den Einzelnen Konsequenzen habe. Kunden bewerteten die Rider nicht. Wichtig sei, die Verkehrsregeln einzuhalten. Ansonsten übe man keinerlei Einfluss aus.

Zuschläge für Wochenenddienste gebe es keine, dafür einen Bonus bei schlechtem Wetter. Gefahren werde mit eigenen Verkehrsmitteln. Die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit liege bei 15 bis 20 Stunden.

Kilometer zählen

Kunden bezahlen für die Dienste von Wolt pro Kilometer, Partnerbetriebe branchenübliche Kommissionen von gut 30 Prozent. Ausgeliefert werden soll innerhalb von vier Kilometern in weniger als 30 Minuten. In Slowenien würden sich Konsumenten Einkäufe im Wert von 18 bis 27 Euro nach Hause bringen lassen. EU-weite Zahlen liegen nicht vor.

Brugger startet im Herzen Wiens und führt, wie er betont, Gespräche mit Handelsketten über Kooperationen. Ziel sei österreichweite Expansion. Dabei helfen sollen Erfahrungen aus Finnland, das mit widriger Witterung, dünner Besiedlung und kleinen Städten Boten reichlich rauen Gegenwind bietet. (Verena Kainrath, 11.5.2023)