Nach dem Misstrauensvotum könnten sich neue Allianzen im Parlament bilden, die verschiedene Gesetzesvorhaben durchbringen. Doch zuletzt hatte es nicht den Anschein, dass wichtige Projekte umgesetzt werden.

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Kein Koalitionsvertrag, keine Bindung – in den kommenden Sitzungen des Nationalrats könnten sich bei vielen Themen wechselnde Mehrheiten ergeben. Wohin das freie Spiel der Kräfte führen kann, zeigt eine Rückschau. Eine Nationalratssitzung im Jahr 2008 verursachte Milliardenkosten, weil diverse finanzielle Wohltaten beschlossen worden sind, wie unter anderem das Aus für Studiengebühren. Im Jahr 2017 wurde nach Scheitern der rot-schwarzen Koalition flugs der Pflegeregress abgeschafft, ohne dabei eine Gegenfinanzierung im Auge zu haben. Nicht umsonst hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen an die Verantwortlichen appelliert, in der Übergangsphase keine teuren Beschlüsse zu fällen: "Das möchte ich unter allen Umständen vermeiden", sagte das Staatsoberhaupt.

Ein Überblick darüber, was alles ansteht:

· Steuerreform Noch Anfang Mai haben sich ÖVP und FPÖ auf eine Steuerentlastung geeinigt – doch daraus wird nun mit hoher Wahrscheinlichkeit nichts werden. Zur Erinnerung: Die Senkung der Steuertarife und diverse Entlastungsmaßnahmen für Unternehmen sollten schrittweise ab 2020 umgesetzt werden, im Wesentlichen gab es eine Einigung der alten Koalition auf einen Fahrplan. Diese langfristige Vereinbarung ist nun obsolet.

Dem Parlament vorgelegt, und zwar zur Begutachtung, wurde bisher nur ein kleiner Teil der Beschlüsse, die ab 2020 gelten sollten. So hat die Koalition geplant, die geltende betragliche Grenze für die Sofortabsetzbarkeit von geringwertigen Wirtschaftsgütern von 400 Euro in einem ersten Schritt auf 800 Euro anzuheben. Zudem soll es eine Vereinfachung geben für Kleinunternehmer, deren Pauschalierung großzügiger werden soll. Selbst ob dieser Teil der Steuerreform beschlossen wird, ist mehr als fraglich. Erstens, weil keine Mehrheit mehr gesichert ist, und zweitens, weil sich im Zuge der Begutachtung noch Veränderungen ergeben können. Zudem ist unklar, ob der neue Übergangsfinanzminister das Projekt überhaupt noch verfolgen wird. Die Parteien könnten im Nationalrat selbstständig Teile der Reform beschließen – aber mangels Mehrheit ist auch das mehr als fraglich.

· Kalte Progression Die Neos haben noch einmal ihr Lieblingsthema aufs Tapet gebracht: die Abschaffung der kalten Progression, also der automatischen Steuererhöhungen, die zustande kommen, weil die Tarifstufen im Steuersystem nicht an die Inflation angepasst sind. Laut Neos-Antrag soll die kalte Progression 2020 abgeschafft sein. ÖVP und FPÖ hatten in ihrem Wahlkampf eigentlich versprochen, die schleichenden Steuererhöhungen abzuschaffen. Im Zuge der Steuerreform wurde dieser Plan allerdings fallengelassen, was von den Neos heftig kritisiert wurde.

Die Chancen auf Durchsetzung des Antrags sind gleich null: ÖVP und FPÖ haben andere Steuerpläne, SPÖ und Liste Jetzt waren schon immer gegen ein Ende der kalten Progression und befürworteten andere Maßnahmen.

· Rauchverbot Die Hoffnung mancher, etwa der Ärztekammer, dass nach Platzen der Koalition das Rauchverbot doch umgesetzt wird, könnte sich erfüllen. Es gibt zwar diesbezügliche Anträge von Neos und Liste Jetzt, nur fehlen weiterhin die Mehrheiten, auch wenn SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried am Dienstag im ORF-Radio die Unterstützung seiner Partei signalisierte. Dass die Freiheitlichen nicht mitgehen, ist wohl logisch, ist das Rauchverbot doch auf ihren Wunsch hin gefallen. Und die ÖVP? Da hat bisher der nunmehrige einstweilige Minister Gernot Blümel die Richtung vorgegeben: Man werde keine Beschlüsse, die in der Koalition gefallen sind, zurücknehmen, sagte er. Doch am Mittwoch deutete ÖVP-Chef Sebastian Kurz (ÖVP) eine mögliche Kurskorrektur an. Eigentlich hätte das absolute Rauchverbot in der Gastronomie ab Mai 2018 gelten sollen. Die türkis-blaue Koalition hob diese Regelung allerdings auf.

· Zwölfstundentag SPÖ wie Liste Jetzt sind für eine Rücknahme. Hier liegt der Fall genau umgekehrt: Niemand setzt auf die ÖVP, die FPÖ könnte aber umdenken, hat doch diese Reform für Unmut an der Parteibasis gesorgt. Über ihre Plenararbeit wollen die Freiheitlichen erst demnächst beraten.

Im Vorjahr sorgte ein Werbefilm der Wirtschaftskammer für flexible Arbeitszeiten für einen regelrechten Shitstorm.
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· Mindestpension Die Anhebung der Mindestpensionen auf 1200 Euro (bei 40 Versicherungsjahren) wurde schon im April 2018 vom Ministerrat abgesegnet, seither hat sich aber nichts mehr getan. Es ist unwahrscheinlich, dass eine Partei gegen die Anhebung stimmen wird, sollte sie im Nationalrat landen.

· Unterhaltsgarantie Die Liste Jetzt versucht einen nächsten Anlauf in Sachen Unterhaltsgarantie für Kinder von Alleinerziehern, deren Ex-Partner nicht zahlen. Im Wahlkampf 2017 gab es dazu noch von allen fünf damaligen Parlamentsfraktionen grünes Licht. Umgesetzt wurde sie nicht.

· Mindestsicherung Die Reform der Mindestsicherung mit Kürzungen für Familien und Zuwanderern mit schlechten Deutschkenntnissen ist zwar schon beschlossen und soll von den Ländern ab Herbst umgesetzt werden. Aber genau da hakt es. Kurz nach Platzen der Koalition haben sich die Soziallandesräte der Bundesländer gemeldet und "eine Reihe an Nacharbeiten" verlangt. Heftige Kritik gab es immer schon seitens der nun früheren Oppositionsparteien.

· Notstandshilfe Im Unterschied zur Mindestsicherung blieb die Reform der Notstandshilfe ein vager Plan, der gleich zu Beginn der türkis-blauen Regierung für Unmut sorgte. Läuft die Arbeitslosenversicherung aus, erhalten Anspruchsberechtigte Notstandshilfe. Im Unterschied zur Mindestsicherung wird hier nicht auf Vermögen zugegriffen. Daran rüttelte die Regierung, ruderte später zurück. Das Versprechen: Zumindest für Personen, die lange gearbeitet haben, solle sich nichts ändern.

· Finanzmarktaufsicht Just am Dienstag befasste sich der Finanzausschuss des Parlaments mit den Änderungen der Finanzaufsicht. Die Regierung will im Rahmen der Einverleibung der in der Nationalbank befindlichen Bankenaufsicht die Struktur der FMA ändern. Die Verkleinerung des zweiköpfigen Vorstands der Behörde auf eine Person hätte den angenehmen Nebeneffekt, dass der der SPÖ zugerechnete Chef Helmut Ettl ohne Job dastehen sollte.

Ettl könnte Chef der FMA bleiben, wenn die Reform nicht beschlossen werden sollte.
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· Ministeranklage Mit den Stimmen von FPÖ, SPÖ und Neos ist es der Liste Jetzt am Montag in der Sondersitzung gelungen, einen Fristsetzungsantrag durchzubringen. Heißt: Über die gewünschte Materie muss am 12. Juni im Plenum abgestimmt werden. Konkret will die Liste Jetzt, dass eine Ministeranklage zum Minderheitenrecht wird. Ein Drittel der Mitglieder des Nationalrats soll genügen, um etwaige Verfehlungen eines Ministers durch den Verfassungsgerichtshof prüfen zu lassen. Gehen auch hier die drei Parteien mit, ist die Reform durch.

Apropos Verfassungsgerichtshof: Dort liegen Regierungsvorhaben zur Prüfung auf. Dazu gehören die Aufhebung des Rauchverbots wie auch die Kassenreform. Verfassungsklagen dürfte es ebenso bei der neuen Mindestsicherung geben. Wegen der Kürzung der Familienbeihilfe für in Osteuropa lebende Kinder könnte es eine Klage beim Europäischen Gerichtshof geben. (Peter Mayr, Andreas Schnauder, András Szigetvari, 29.5.2019)

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