Letzter Teil der Besserer-Mensch-Werdungs-Serie, die abgeschlossen wird mit einem Thema, das sich in den letzten Wahlkampf- Wochen aufdringlich an uns ranschmiss: Missionierung als Wille und Fluch. Wahlkampf ist ja nichts anderes als der Versuch, den Glauben der bisherigen Anhänger weiter zu festigen und möglichst viele Neue zu Gläubigen zu missionieren: mit der Verheißung, dass im Jenseits der neuen Legislaturperiode ein besseres Leben wartet, wenn man nur bereit ist, dem richtigen Messias zu folgen und die Botschaft zu glauben. Und das Messias-Prinzip hat ja top gegriffen, zumindest für jene Partei, die sich um ihren 33-jährigen Heilsverkünder schart. Viele waren bereit zu folgen.

Die Gegenwart, die Welt, scheint gerade einen Bedarf an Missionaren und Missionarinnen zu haben, die den Weg aus der Misere weisen: Es braucht unter anderem eine 16-Jährige die nicht nur sich selbst retten will, sondern die ganze Welt. Sie macht das sehr gut. Sie hat ganz klare, eingängige Botschaften und die Entschlossenheit, damit durchzukommen.

Nein, ich muss nicht

Ich selbst entsage dem Missionieren nach vielen, teilweise lachhaft gescheiterten Versuchen im Freundeskreis schon seit längerem. Man lernt irgendwann: Man hat bald nicht mehr viele Freunde, wenn man ihnen ständig die Besserwisserkeule auf die Schädel hämmert. Es gibt eine Lebensphase, in der man das besonders schnell lernt, und das ist die frühe, erste Elternschaft.

Man hat bald nicht mehr viele Freunde, wenn man ihnen mit der Besserwisserkeule auf die Schädel hämmert.
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Ich habe festgestellt, dass kaum ein Thema existiert, an dem alte, vermeintlich stabile Freundschaften klirrender zerbrechen als an Kindererziehungsdogmatik und der Frage, was für Kinder gut ist und was nicht, was sie sollen und dürfen, was sie überfordert und wie sie zu starken, verantwortungsbewussten Erwachsenen werden.

Hat man (und die Kinder) diese Entwicklungsphase überlebt, bemerkt man, wie viele dieser Kämpfe und Streitereien man sich hätte ersparen können, aber wenn man mittendrin ist, scheinen sie lebenswichtig und unvermeidlich: Das resultiert in viel Streit, lautstarken Auseinandersetzungen, vergifteten Urlauben. Ich darf berichten, dass diese Zeit auch irgendwann vorübergeht. Man zieht Lehren, die sich auf die meisten Lebensbereiche umlegen lassen. Niemand lässt sich gern befehlen, was er tun soll. Schon wenn aus Facebook jemand herausruft, was jetzt sofort alle lesen MÜSSEN, mache ich sofort dicht. Nein, ich muss nicht.

Kein Missionieren mehr

Ich habe das Missionieren von Menschen, die nicht ich sind, weitgehend aufgegeben. Es erfordert Talente wie religiösen Eifer, eherne Selbstdisziplin und Entsagungswillen, alles nicht meins. Mehr interessiert es mich, auch im Kontext dieser Serie, wenn Denkräume geöffnet werden, die man sich dann selbst einrichtet, dem eigenen Dasein entsprechend.

Ich bin allerdings froh, dass andere mehr Überzeugungskompetenz haben, Greta Thunberg etwa, eine junge Frau, die noch vor einem Jahr mit selbstgebasteltem Schild vor einer Schule in Stockholm saß, jetzt vor der Uno spricht und Millionen Menschen mobilisiert hat, auf die Straße zu gehen.

Und aus Einzelnen und kleine Gruppen eine Bewegung zu formt. Was letztlich der Weg ist, etwas zu verändern. Ich möchte hier auf eine wiederholt formulierte Kritik eingehen: Das sei alles naiv, der, die Einzelne könne gar nichts bewegen, die Politik müsse handeln und die globalisierten Konzerne. Aber damit das geschieht, braucht es den Druck von unten, den Willen oder Nichtwillen des Konsumenten, mit dem man schließlich ein Geschäft macht oder keins mehr. Boykott ist ein altes und, wenn er millionenfach stattfindet, sehr wirksames Missionierungswerkzeug. Am Beginn steht die individuelle Entscheidung, das eigene Verhalten ein bisschen oder radikal zu ändern, am Ende die Politik oder die Konzerne, die davon zum Umdenken gezwungen wurden.

Ich kann übrigens berichten, dass zwischenzeitlich die Scherben der meisten meiner einst kaputtmissionierten Freundschaften wieder zusammengepickt wurden. Im Kintsugi-Verfahren, mit goldbetonten Bruchlinien: Sie markieren die Grenze, an der man selber aufhört und die anderen anfangen; und den Respekt vor ihren individuellen Entscheidungen. (Doris Knecht, 7.9.2019)

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