Intensivmediziner Walter Hasibeder hält wenig vom Corona-Management der Regierung der letzten Zeit, wie er in seinem Gastkommentar schreibt. Und er warnt schon vor dem Herbst.

Für viele von uns, die wir seit zwei Jahren unter oft schwierigen Bedingungen schwer an Corona erkrankte Patientinnen und Patientenbehandeln und zugleich alles tun, um auch den vielen Menschen, die wegen anderer ernster Gesundheitsprobleme Hilfe brauchen, gerecht zu werden, war wohl der März 2022 ein Tiefpunkt des Pandemiemanagements. Am 5. März wurden trotz kontinuierlich steigender Infektionszahlen in allen Bundesländern außer Wien weitestgehend die Präventionsmaßnahmen gegen Sars-CoV-2-Infektionen zurückgefahren. Und ausgerechnet am 15. März, als die Zahlen ihr damals trauriges Allzeithoch erreichten, wurde die Impfpflicht ausgesetzt. Hat sich die Politik tatsächlich ausgerechnet auf dem Gipfel der aktuellen Welle aus dem Pandemiemanagement und der Verantwortung zurückgezogen?

Der Laboranbieter Lifebrain wertet an seinem Standort in der Klinik Wien-Penzing derzeit hunderttausende PCR-Tests täglich aus. Ab April sollen die Tests reduziert werden.
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Immerhin wurde zuletzt, wenn auch mit einiger Verzögerung, mit der Verordnung vom 23. März die Maskenpflicht in Innenräumen weitgehend wiedereingeführt. Das kommt spät, ist aber natürlich zu begrüßen. Kritisch müssen die Ausnahmen gesehen werden, eine einheitliche und damit auch verständliche Regelung wäre ebenfalls wünschenswert gewesen.

Hinterfragenswert ist auch die politische Begründung für die Rückkehr zu einzelnen Präventionsmaßnahmen – nämlich dass diese Anstiege der Infektionszahlen nicht vorhersehbar gewesen seien. Das waren sie selbstverständlich. Aus gutem Grund hat auch die Österreichische Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin deutlich davor gewarnt, mit der Beseitigung des Maßnahmensicherheitsnetzes so früh durchzustarten: Wir waren uns mit vielen anderen Expertinnen und Experten einig, dass es besser gewesen wäre, wenn man einen deutlichen Rückgang und einen klar sinkenden Trend bei den Neuinfektionen abgewartet hätte.

Paradoxe Regelung

Die neue Empfehlung des Bundes zur "Entlassung von bestätigten Fällen aus der Absonderung", also der verkürzten Quarantänepflicht, sehe ich kritisch. Dass symptomfreie, aber möglicherweise noch positive Personen zum Schutz von besonders vulnerablen Gruppen zwar niemanden im Krankenhaus oder Pflegeheim besuchen, aber dort sehr wohl arbeiten dürfen, ist paradox. Gerade Patientinnen und Patienten einer Ansteckungsgefahr durch potenziell infektiöse Mitarbeitende auszusetzen ist jedenfalls inakzeptabel.

Besonders die Aussetzung der Impfpflicht sehe ich sehr kritisch: Wir wissen nicht, welche Mutationen im Herbst auf uns zukommen, sie können angesichts der bestehenden Impflücke jedenfalls wieder zu erheblichen Problemen in der Gesundheitsversorgung führen. Die Impfung ist nach heutigem Wissensstand der einzige Weg, langfristig eine effektive Immunantwort aufzubauen. Eine hohe Durchimpfungsrate ist daher ein zentrales Instrument und Sicherheitsnetz, um die Pandemie zu beherrschen. Daran hat sich seit dem Beschluss zur Impfpflicht nichts geändert. Zudem gibt es zahlreiche Daten, dass geimpfte Menschen auch im Fall einer Infektion mit dem Sars-CoV-2-Virus ein geringeres Risiko haben als Ungeimpfte, Long Covid zu entwickeln.

Interessant wird es dann, wer von jenen, die auf ein sehr rasches Fallenlassen von Schutzmaßnahmen und ein Abrücken von der Impfpflicht gedrängt haben, die Verantwortung für die Konsequenzen übernehmen wird, wenn im Herbst die Dinge nicht laufen wie gewünscht, wenn uns unzureichend vorbereitet eine neue Welle trifft.

Entwicklung beobachten

Zum Glück – aus Sicht unserer Fachdisziplin – liegt im Moment die Zahl der intensivpflichtigen Patientinnen und Patienten mit einer Covid-19-Erkrankung bei zehn bis 15 Prozent der Bettenbelegung an den Intensivstationen. Damit können wir im Moment nach den langen Phasen der Überbelastung weitgehend den Routinebetrieb gewährleisten, wenn auch die Zahl der Personalausfälle deutlich höher ist als in früheren Wellen.

Zur Erinnerung: Intensivstationen sind immer sehr stark belegt, in der Regel zu rund 80 bis 90 Prozent. Sind bis zu zehn Prozent der Intensivbetten einer Region – österreichweit sind es aktuell etwa 2050 – durch eine zusätzliche Belastung wie derzeit Covid-19 belegt, ist das noch kein Problem, und ein weitgehend unveränderter Normalbetrieb bleibt gewährleistet. Kommt es aber zu einer höheren zusätzlichen Belegung durch Patientinnen und Patienten mit Covid-19, müssen zunehmend Maßnahmen zur Ressourcenentlastung ergriffen werden, wie eine zunehmende Einschränkung des chirurgischen Routinebetriebs. Umso mehr müssen wir die Entwicklung im Auge behalten, denn in den vergangenen zwei Wochen gab es einen Anstieg bei den Intensivbelagszahlen um rund 30 Prozent.

Nicht mehr im Auge des Orkans?

Dass unsere Intensivstationen nicht mehr so sehr wie in früheren Wellen im Auge des Orkans sind, darf uns allerdings nicht vergessen lassen, dass auf den Normalstationen in einigen Bundesländern aktuell die höchsten Belegungswerte seit Pandemiebeginn erreicht sind. Das bedeutet einschneidende "Kollateralschäden" für zahlreiche Non-Covid-Patientinnen und Non-Covid-Patienten. Nicht in Vergessenheit geraten darf, dass wir zuletzt Woche für Woche 150 bis 200 Corona-Tote zu beklagen hatten – zuletzt pro Tag oft 40 bis 50. All das ist nicht hinnehmbar.

Die Pandemie ist nicht vorbei. Gerade jetzt, auf dem Höhepunkt der Welle der hochinfektiösen BA.2-Variante, müssen wir wachsam bleiben und die weiteren Entwicklungen durch eine geeignete Teststrategie engmaschig beobachten. Und wir brauchen ein politisches Pandemiemanagement, das nicht nur dann selektiv Ratschläge von Expertinnen und Experten aufnimmt, wenn sie ins eigene Konzept passen, sondern das vorausschauend, vorsichtig und evidenzbasiert agiert. (Walter Hasibeder, 30.3.2022)