Dass Menschen für die Wissenschaft und gegen "alternative Fakten" auf die Straße gehen, ist ein relativ junges Phänomen.

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Wenn es um die Wertschätzung von Wissenschaft, um das Interesse an wissenschaftlichen Themen und auch das Vertrauen in evidenzbasierte Erkenntnisse geht, hat Österreich im europäischen Vergleich allen Grund, sich zu genieren. Die Ergebnisse der letzten Eurobarometer-Umfrage vom vergangenen September (die Daten stammen vom April und Mai 2021) fielen für unser Heimatland jedenfalls ziemlich verheerend aus, passen jedoch zu den dramatischen Werten, die auch schon in den Jahren davor bei uns erhoben worden waren.

Warum trotz vieler außerordentlicher Forschungserfolge das öffentliche Ansehen von Wissenschaft weltweit im Durchschnitt sinkt, ist teilweise immer noch ein Rätsel. Nun haben Psychologinnen und Psychologen aus den USA und Kanada mögliche Antworten präsentiert. Die Forschenden sind davon überzeugt, dass die gleichen psychologischen Faktoren, die bei der individuellen Meinungsbildung die Hauptrolle spielen, auch bei der jüngsten Welle von Wissenschaftsskepsis tonangebend sein dürften. Eine im Fachjournal "Pnas" veröffentlichte Studie liefert aber nicht nur eine Erklärung für die Zunahme wissenschaftsfeindlicher Überzeugungen in den vergangenen Jahren, sie zeigt auch Taktiken, um dagegen anzukämpfen.

Vier Fundamente

"Die klassischen Theorien zur persuasiven Kommunikation lassen sich ohne Weiteres auf das anwenden, was wir heute sehen, nämlich eine wachsende Ablehnung wissenschaftlicher Erkenntnisse über Viren, Klimawandel oder andere wichtige Themen", sagte Aviva Philipp-Muller, Hauptautorin der neuen Studie. "Aber es gibt evidenzbasierte Strategien, die dazu beitragen könnten, die Akzeptanz der Wissenschaft in der Öffentlichkeit wieder zu erhöhen."

Antiwissenschaftsüberzeugungen ruhten auf vier Fundamenten, erklärte das Team von der kanadischen Simon Fraser University (Burnaby, British Columbia): Zweifel an der Glaubwürdigkeit wissenschaftlicher Quellen, Identifizierung mit Gruppierungen mit wissenschaftsfeindlichen Einstellungen, Widerspruch der wissenschaftlichen Botschaften zu aktuellen persönlichen Überzeugungen und Diskrepanzen zwischen der Präsentation einer Botschaft und der persönlichen Denkweise.

Kollisionen zwischen Weltbildern

"Alle vier haben gemeinsam, dass sie zeigen, wie wissenschaftliche Informationen mit vorgefassten Meinungen und Denkstilen kollidieren", sagt Co-Autor Richard Petty von der Ohio State University. "Menschen tun sich besonders schwer mit dieser Art von Konflikt. Daher fällt es ihnen umso leichter, jene wissenschaftlichen Informationen abzulehnen, die nicht mit ihren Ansichten vereinbar sind."

Eine Zunahme wissenschaftsskeptischer Tendenzen hat sich bereits in den letzten Jahrzehnten deutlich abgezeichnet. Aber der jüngste antiwissenschaftliche Boom, etwa beim Thema Impfungen, hat die Forschenden dann doch ziemlich überrascht. "Impfungen waren früher allgemein akzeptierter Standard – und doch haben es die Entwicklungen in den vergangenen Jahren einfacher gemacht, Menschen gegen den wissenschaftlichen Konsens zu Impfungen und anderen Themen aufzubringen", sagte der Psychologe.

Ein wichtiger Aspekt ist dabei sicherlich der Aufstieg der sozialen Medien und die Entstehung einer Vielzahl "alternativer" Nachrichtenquellen, in denen jeder eine Version der Wirklichkeit finden kann, die am besten zur eigenen Meinung passt. Die Autorinnen und Autoren verweisen jedoch auf eine andere, mindestens ebenso folgenschwere Entwicklung: die wachsende Bedeutung politischer Ideologien in der modernen Welt.

Der wachsende Einfluss der Politik

"Politik war zwar immer präsent, aber sie hat den Alltag nicht in dem Ausmaß durchdrungen, wie das heute der Fall ist. Wissenschaft und wissenschaftliche Überzeugungen waren früher von der Politik getrennt. Das ist jetzt nicht mehr so", sagte Petty. Diese unheilvolle Verbindung zwischen Politik und Wissenschaft habe dem Status und der allgemeinen Akzeptanz von Wissenschaft sehr geschadet. "Einige Menschen lehnen neue wissenschaftliche Erkenntnisse inzwischen möglicherweise deshalb ab, weil das einfacher ist, als ihre politischen Überzeugungen über den Haufen zu werfen", meinte Philipp-Muller.

Diese Entwicklung wirkt sich beispielsweise auch auf die Glaubwürdigkeit von Quellen aus. Wie andere Studien bereits zeigen konnten, werden Menschen mit einer ähnlichen politischen Einstellung wie man selbst tendenziell für kompetenter und ihre Aussagen für verlässlicher gehalten. Und weil Liberale und Konservative unterschiedliche Nachrichtenquellen für glaubwürdig halten, kommen sie auch mit verschiedenen wissenschaftlichen Informationen beziehungsweise Fehlinformationen in Kontakt, so die Forschenden.

Angepasste Kommunikation gegen die Wissenschaftsskepsis

Doch die von den Psychologinnen und Psychologen beschriebenen Mechanismen liefern auch einen Hebel, um der Wissenschaftsskepsis entgegenzuwirken. Eine Möglichkeit wäre beispielsweise, Botschaften zu vermitteln, die die Existenz "alternativer" Fakten anerkennen und ein Verständnis dafür kommunizieren, wie es zu wissenschaftsfeindlichen Standpunkten kommt.

"In 'Pro-Wissenschaft-Botschaften' könnte man etwa einräumen, dass es auf der anderen Seite berechtigte Bedenken gibt, und zugleich erklären, warum die wissenschaftliche Position vorzuziehen ist", sagte Philipp-Muller. Beim Thema "Was tun gegen die Ausbreitung von Covid-19?" hieße das zum Beispiel, zu vermitteln, dass das Tragen von Masken durchaus unangenehm sein könne, aber dass selbst diese Unbequemlichkeit es wert sei, wenn dadurch die Ausbreitung der Krankheit eingebremst werden könne.

Gemeinsames finden

Ein weiterer Punkt, wo man ansetzen sollte, wäre es, Gemeinsamkeiten mit den Menschen zu finden, die sich wissenschaftsskeptisch äußern – selbst wenn diese Gemeinsamkeiten nichts mit Wissenschaft zu tun haben. "Menschen gehen in den Verteidigungsmodus, wenn sie sich angegriffen fühlen, aber auch, wenn sie glauben, ihre 'Gegner' würden sich so sehr von ihnen unterscheiden, dass diese gar nicht glaubwürdig sein können", sagte Petty. "In einem solchen Fall sollte man gemeinsames Terrain finden und von dort aus weiterarbeiten."

Das Team um Aviva Philipp-Muller hofft, dass psychologische Erkenntnisse und evidenzbasierte Strategien künftig eine größere Rolle spielen, wenn Wissenschafterinnen und Wissenschafter die Resultate ihrer Arbeit mit der Öffentlichkeit teilen. "Es reicht oft nicht aus, Ergebnisse in einfacher und akkurater Weise zu vermitteln", so die Forscherin. "Psychologische Forschung kann dabei helfen, wissenschaftliche Erkenntnisse für unterschiedliche Zielgruppen aufzubereiten – einschließlich jenen, die eigentlich wissenschaftsskeptisch sind." (tberg, 12.7.2022)