Eine Cannabisplantage im Dorf Yammoune in der östlichen Bekaa-Ebene des Libanon. Für medizinische Zwecke ist Cannabis dort mittlerweile legal, der private Gebrauch bleibt allerdings verboten.

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Einen Joint für den Freizeitgebrauch zu drehen könnte in Deutschland bald völlig legal sein. Die Ampelkoalition plant, Cannabis in den kommenden Jahren vollständig zu entkriminalisieren. Für Erwachsene ab 18 Jahren soll der Kauf und Besitz von 20 bis 30 Gramm Cannabis straffrei sein, so der Plan. Noch ist unklar, wann es so weit sein wird. Der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) schätzt, dass die Regelung frühestens 2024 in Kraft treten könnte. Erst wenn die EU grünes Licht gibt, will man sich an den konkreten Gesetzesentwurf wagen.

Österreich hat derweil noch keine Pläne, Cannabis zu entkriminalisieren. Die Neos und Grünen sprechen sich tendenziell dafür aus, die anderen Parteien sind skeptisch oder ablehnend. Aktuell ist Cannabisbesitz in Österreich strafbar – mit Freiheitsstrafen bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafen bis zu 360 Tagessätzen. Doch was wäre, wenn auch Österreich Cannabis entkriminalisiert? In diesem Szenario regelt der Staat den Verkauf der Droge. Jede und jeder darf eine kleine Menge für den Eigengebrauch kaufen – in lizenzierten Geschäften oder Apotheken. Ganz legal. Was hätte das für Folgen für die Gesundheit, für die Gesellschaft, für die Wirtschaft? Was sagen Studien, und welche Erfahrungen haben Länder gemacht, in denen Cannabis entkriminalisiert wurde?

Keine neue Volksdroge

Opponenten befürchten, dass durch eine Liberalisierung der Cannabiskonsum enorm steigen könnte. In einigen Regionen war das auch der Fall: In Kanada etwa verdoppelte sich die Zahl der Erstkonsumenten nahezu, nachdem das Land im Oktober 2018 den Besitz von Cannabis bis 30 Gramm freigegeben hatte. Das zeigte der sogenannte National Cannabis Survey, der seit der Legalisierung einmal pro Jahr durchgeführt wird.

Auf die Zahl, wie viele Menschen regelmäßig konsumieren, dürfte ein Gesetz aber keinen Einfluss haben. Zu diesem Schluss kommt ein Sachstand des wissenschaftlichen Dienstes des deutschen Bundestages. 2019 untersuchte er Länder, in denen der Cannabiskonsum legalisiert oder zumindest entkriminalisiert worden war. Betrachtet wurden Belgien, die Niederlande, Kanada, Portugal, Uruguay und die USA. Die Autorinnen und Autoren schreiben, "dass die Verfolgung einer strikten Drogenpolitik wenig bis keinen Einfluss auf das Konsumverhalten hat". Auch ein Blick auf UN-Daten legt nahe: In einigen Staaten mit strengen Drogengesetzen wird viel Cannabis konsumiert und dafür in manchen Staaten mit liberalen Gesetzen weniger.

Dass Cannabis Alkohol als Volksdroge ablösen würde, hält Kurt Fellöcker für unwahrscheinlich. Er ist Leiter für Suchtberatung und Prävention an der Fachhochschule St. Pölten und sagt: "Es entspricht nicht unserer Kultur, dass man miteinander kifft." Cannabis habe außerdem "eine ganz andere Wirkung" und sei nicht unbedingt eine soziale Droge. Menschen, die gerne trinken, würden nicht auf Cannabis umsteigen, so seine Vermutung. Was sich mit einer Entkriminalisierung laut dem Experten auf jeden Fall verbessern würde: die Prävention. "Durch die Illegalität ist es schwer, an die Menschen heranzukommen. Solange etwas verboten ist, will niemand zugeben, dass er konsumiert." Würde Cannabis auch legal verkauft, werde es leichter, über bewussten Konsum zu sprechen – schon mit Jugendlichen in der Schule.

Experten warnen, dass hohe Cannabis-Konzentrationen psychische Erkrankungen bis hin zu Psychosen auslösen können.
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Die Folgen für die Gesundheit

Was die Gesundheitsrisiken angeht, so hätten bisher noch keine Studien langfristige körperliche Auswirkungen von Cannabis belegen können, sagt Suchtexperte Fellöcker. Annahmen, wie dass es zu Müdigkeit oder mangelnder Konzentration führe, seien widerlegt. "Es gibt allerdings die Vermutung, dass es auf die Qualität der Spermien über einen sehr langen Zeitraum negativen Einfluss hat. Aber auch das ist bisher nicht bestätigt." Problematischer seien hingegen mögliche Auswirkungen auf die Psyche: "Hohe Cannabis-Konzentrationen können psychische Erkrankungen bis hin zu Psychosen auslösen", sagt der Psychotherapeut. Ein Risiko sei das vor allem für Menschen mit einer psychischen Vorbelastung oder in schwierigen Lebenssituationen, erklärt Fellöcker.

Gesundheitsgefährdend sei besonders die schlechte Qualität des Cannabis, das im Umlauf sei. Es handle sich um hochgezüchtete Sorten, die bis zu 18 Prozent THC-Gehalt haben. Häufig würden auch synthetische Cannabinoide eingesetzt, um die hohen Werte zu erreichen. Würde es eine Regulierung geben, hätte das den Vorteil, dass die Qualität kontrolliert werden könnte: "Man hätte ein Instrument, um zu erreichen, dass Konsumentinnen und Konsumenten bewusst konsumieren können, ohne ihre Gesundheit zu gefährden." Momentan würden sie die Droge am Schwarzmarkt kaufen, ohne zu wissen, was genau enthalten ist. Bei einem legalen Verkauf müssten Inhaltsstoffe auf der Verpackung ersichtlich sein. Es könnte auf einem regulierten Markt auch vorgeschriebene Höchstwerte beim THC geben. Dass Jugendliche dennoch auf dem Schwarzmarkt schädliches Cannabis kaufen, weil die Preise niedriger sind, schließt Fellöcker allerdings nicht aus.

Die Staatskasse klingelt

Mit einer Steuer auf Cannabis, wie sie schon für Alkohol und Tabak existiert, könnte bald die Staatskasse klingeln. Verlässliche Schätzungen über die Höhe der möglichen Einnahmen für Österreich gibt es bisher keine. Für Deutschland kam eine Studie der Universität Düsseldorf zu dem Schluss, dass eine Regulierung von Cannabis dem deutschen Fiskus rund 4,7 Milliarden Euro pro Jahr einbringen könnte – darin enthalten sind neben Steuereinnahmen auch Einsparungen in der Justiz. Das Geld könnte in die Cannabisversorgung zurückfließen und laut Fachleuten Betroffenen zugutekommen – über Drogenberatung, Aufklärungsarbeit oder in Form von Behandlungsplätzen.

Ein Blick in die USA betätigt das steuerliche Potenzial. Im Jahr 2021 erwirtschafteten die Bundesstaaten, die Marihuana legalisiert haben, mehr als 3,7 Milliarden Dollar an Steuereinnahmen aus dem Cannabisverkauf an Erwachsene. Die Erfahrungen in den USA zeigen aber auch, dass die Legalisierung nicht das Wirtschaftswunder bringt, das sich manche erhoffen. Laut dem US-Wirtschaftsmagazin Forbes verzeichneten Staaten wie Colorado und Kalifornien einen stetigen Rückgang bei den Cannabispreisen. Was für Konsumierende erfreulich ist, führt bei vielen US-Cannabisfirmen zu finanziellen Engpässen. Zudem sinken mit den Preisen auch Steuereinnahmen für den Staat. Staaten wie Kalifornien und Maine sind deshalb dazu übergegangen, Cannabis nach Gewicht statt über den Preis zu besteuern. Ob sich die Methode bewährt, bleibt noch abzuwarten.

Entlastung bei Justiz und Polizei

Befürworter einer Entkriminalisierung betonen, dass weniger Delikte wegen Cannabisbesitz oder -konsum die Strafverfolgung entlasten. Auch so spart der Staat Geld, heißt es. Ein Großteil der Anzeigen wegen Verstoßes gegen das Suchtmittelgesetz – rund 28.590 Stück – betrafen hierzulande im Jahr 2020 die Droge Cannabis. Fallen sie weg, könnte das die Exekutive und Justiz entlasten – und Steuergeld sparen. In diesem Punkt gehen die Meinungen aber bisher auseinander: Bei der deutschen Polizei etwa zeigen sich viele skeptisch, ob die Entkriminalisierung wirklich Geld spart, wie das Online-Magazin "Vice" berichtet. Viele Kritiker warnen etwa davor, dass sich die Arbeit von der Polizei auf den Zoll verlagert.

Cannabispflanzen wachsen in einem Blüteraum des Pharmaunternehmens Demecan in Sachsen. Die Firma darf medizinisches Cannabis in Deutschland legal anbauen. Durch eine Entkriminalisierung könnten viele solcher Unternehmen entstehen.
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Florierende Geschäfte

Auch für die Wirtschaft, die sich bisher auf medizinisches Cannabis beschränkt hat, eröffnen sich durch das legale Cannabis neue Möglichkeiten. Unklar ist bisher zwar, wie hoch das Marktpotenzial in Österreich ist. Doch allein im Jahr 2020 wurde hierzulande Cannabis im Schwarzmarktwert von über 13 Millionen Euro sichergestellt, was eine ungefähre Vorstellung vermittelt. Die Entkriminalisierung könnte neue Geschäftsmodelle entlang der Wertschöpfungskette entstehen lassen – und gleichzeitig dem Tourismus neue Türen öffnen. Die Möglichkeiten reichen von Agrotourismus, Cannabisfestivals, Betriebsführungen und Wanderungen bis hin zu Cannabisverkostungen oder "Ganja Yoga". Das schafft auch Arbeitsplätze: In Deutschland könnten durch die Legalisierung rund 27.600 neue Jobs entstehen, so die Studie der Universität Düsseldorf. Aus wirtschaftlicher Sicht überwiegen daher laut vielen Fachleuten die Vorteile einer Entkriminalisierung.

Schwarzmarkt, ade?

Doch wie wirkt sich die Entkriminalisierung von Cannabis auf die Kriminalität aus? Ganzheitlich betrachtet ist die Gewaltkriminalität in den USA im Zuge der Legalisierung von Marihuana weder gestiegen noch gesunken, wie eine Analyse der US-Denkfabrik Cato Institute zeigt. In den meisten US-Staaten blieb die Rate an Gewaltverbrechen nach der Legalisierung auf dem Vorniveau. In Maine und Nevada ging die Gewaltkriminalität nach der Legalisierung zurück, in Alaska und Massachusetts hingegen stieg sie an. Eine Studie in der Fachzeitschrift "The Economic Journal" legt außerdem nahe, dass die Entkriminalisierung der Produktion und des Vertriebs von Cannabis zu einem Rückgang der Gewaltkriminalität in Märkten führt, die traditionell von mexikanischen Drogenkartellen kontrolliert werden.

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Günstigere Preise, bequemer verfügbar – eine Entkriminalisierung wird den Schwarzmarkt für Cannabis nicht austrocknen, sagen Fachleute.
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Dass der Schwarzmarkt durch eine Entkriminalisierung komplett verschwindet, halten Fachleute trotz allem für unwahrscheinlich. Die illegalen Märkte sind in Ländern wie Österreich gut etabliert und organisiert, Strukturen für den Anbau, Vertrieb und Verkauf schon lange vorhanden. Vor allem zu Beginn der Entkriminalisierung wird das legale Cannabis voraussichtlich teurer sein als das auf dem Schwarzmarkt. Für viele Menschen bleibt der illegale Weg deshalb attraktiver. Gleichzeitig rechnen viele damit, dass sich die Cannabisqualität auf dem Schwarzmarkt verbessert, was einen Umstieg zusätzlich erschwert.

Auch die Infrastruktur ist eine Hürde. Liegt die nächste legale Cannabis-Ausgabestelle viele Kilometer entfernt, kaufen viele Menschen ihr Cannabis potenziell lieber illegal beim Dealer um die Ecke. Es dauert, bis die notwendige Infrastruktur bereitsteht. Vertriebswege und Kontrollprozesse müssen etabliert, Fachgeschäfte und Apotheken lizenziert werden. In Kanada etwa gab es deshalb in den ersten acht Monaten nach der Legalisierung keinen einzigen Cannabis-Shop, wie ein Experte gegenüber dem NDR erklärt. Heute funktioniere die Infrastruktur allerdings, die legalen Shops decken rund 60 Prozent des Bedarfs ab. Der Blick auf andere Länder zeigt aber: Ein legaler Markt nützt Konsumentinnen und Konsumenten wenig, wenn die Infrastruktur fehlt und das legale Cannabis für sie teurer oder schwieriger zu beschaffen ist. (Lisa Breit, Florian Koch, 11.2.2023)