Russisches Gas bleibt in Österreich dominant. Der Anteil ist Ende 2022 wieder gestiegen – im Dezember lag er bei 71 Prozent. Wie konnte es dazu kommen, dass Österreich so stark am Tropf Russlands hängt? Die Energieagentur hat der Frage eine Studie gewidmet.

Sie beginnt naturgemäß 1968. Die OMV hat da als erstes Unternehmen mit Russland einen langfristigen Vertrag zur Gaslieferung in ein westeuropäisches Land signiert. Die folgenden zehn Jahre lag der Anteil von russischem Gas bei rund 45 Prozent. Dann ging es steil nach oben auf bis zu 80 Prozent. Gas war gefragt, man bemühte sich zwischendurch um andere Quellen. Mit den ersten Lieferungen aus Norwegen ab 1993 ging der Anteil leicht zurück. Nachhaltig waren die Diversifizierungsversuche nicht: Neben Lettland, das nun die Reißleine gezogen hat, und Ungarn gehört Österreich zu den abhängigsten Ländern Europas.

Die Gasimporte aus Russland sind Ende 2022 wieder gestiegen. "Besorgniserregend", findet Studienautor Lechner, "weil das nicht nach einem Ausreißer ausschaut."
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Warum? Gasimporte wurden in der Politik als privatwirtschaftliche Angelegenheit betrachtet, sagt Studienautor Herbert Lechner. Der OMV hätten die jeweils zuständigen Wirtschaftsminister viel Spielraum gelassen – nach dem Motto: Das sind die Spezialisten. Von einer aktiven energiepolitischen Rolle hätten sich die politisch Verantwortlichen vor Jahrzehnten verabschiedet. "Der Abschluss von Verhandlungen, betreffend eine Erdgasleitung von Russland nach Italien – soweit Österreich daran interessiert ist –, ist eine privatwirtschaftliche Angelegenheit der beteiligten Firmen", erklärte etwa der damalige ÖVP-Vizekanzler und Handelsminister Fritz Bock 1967.

Nicht zuständig für Verfassungssicherheit

Geändert hat sich bis 2020, dem Ende des Untersuchungszeitraums, nichts. 2009 sagte ÖVP-Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner zu der letztlich gescheiterten Nabucco-Pipeline, die Erdgas aus Aserbaidschan liefern sollte: "Es handelt sich hiebei nicht um ein Projekt des Staates oder der Staaten, sondern um ein privatwirtschaftlich finanziertes Projekt, wofür allerdings auch EU-Interesse besteht."

Das Gas floss, für Versorgungssicherheit sah man sich nicht zuständig, Warnsignale und besorgte Zurufe wurden schlicht ignoriert. "Wir haben unsere Energieversorgung auf den Frieden abgestellt. Wollen wir es gemeinsam nicht wahrhaben, dass es einmal zu Krisenzeiten kommen könnte? Es bräche bei uns die Energieversorgung wahrscheinlich zusammen", warnte etwa der ÖVP-Abgeordnete Siegmund Burger – im Jahr 1971.

Ex-Kanzler Sebastian Kurz (hinten links), Ex-OMV-Chef Rainer Seele, Russlands Präsident Wladimir Putin und Gazprom-Chef Alexey Miller im Oktober 2018 in St. Petersburg. Den aktuellen Gasliefervertrag haben Seele Miller 2018 im Beisein von Kurz und Putin in Österreich unterschrieben. Der Vertrag ist geheim, soll aber Take-or-Pay-Klauseln enthalten. Das bedeutet, dass die OMV auch dann zahlen muss, wenn sie das Gas nicht bezieht.
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Mindestens 55 angedrohte oder reale Lieferunterbrechungen sind für die Jahre 1991 bis 2006 dokumentiert, was das österreichische Außenministerium 2007 zur Einschätzung veranlasste: "Russland setzt seine Energiepolitik als machtvolles Instrument der Außenpolitik ein."

Trotz nationaler und internationaler Bedenken – hierzulande wurden die Risken verharmlost. Tenor: Russisches Erdgas sei alternativlos für Österreich, Russland ein verlässlicher Lieferant – und russisches Erdgas billig. Eine Studie des Oxford Institute for Energy Studies aus dem Jahr 2013 sieht für Letzteres keine Belege.

Teurer Ausstieg

Und was jetzt? Der Ausstieg aus russischem Gas, falls er gelingt – die Lieferverträge wurden zuletzt bis 2040 verlängert –, kostet wohl Milliarden. Wie viele, will Studienautor Lechner – früher Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter der Energieagentur – nicht einschätzen. Der Preis sei jedenfalls gestiegen – auch durch in der Vergangenheit unterlassene Investitionen in erneuerbare Energien. "Uns holt jetzt die Zeit ein, wo wir mit weit weniger Einsatz die Lage hätten entschärfen können", ist Lechner gewiss. Dass sich die Bundesregierung von ihrem Ziel, bis 2027 aus russischem Gas auszusteigen, verabschiedet habe, davon geht er aber nicht aus. (Regina Bruckner, 21.2.2023)