"Ohne qualitativ hervorragende Verwaltung kann es keine exzellente Politik und Wirtschaftspolitik geben", sagt der ehemalige Sektionschef im Finanzministerium und Vorsitzende der Eurogroup Working Group, Thomas Wieser, im Gastkommentar.

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Die in der Öffentlichkeit bekannten Fehlleistungen sind laut Thomas Wieser nur die Spitze eines Eisbergs, Besserung sei nicht in Sicht.
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Die letzten Jahre haben uns reichlich Anschauungsmaterial an politischer Korruption, Strategielosigkeit und Planungspannen geliefert. Inhaltsbefreite Politik trifft auf über die Jahre fast plangemäß qualitativ ausgelaugte Verwaltung.

Ist das schon Staatsversagen, oder befinden wir uns erst auf dem Weg dorthin? Wie durchaus in anderen Ländern variierte die Qualität der politischen Maßnahmen der letzten Jahre zwischen unkoordiniert, chaotisch und Systemversagen, und manchmal gar nicht so schlecht.

Die Pandemie hat Fehlleistungen unserer staatlichen Institutionen ans Tageslicht gebracht, die bislang unter der Oberfläche der öffentlichen Sichtbarkeit verborgen geblieben waren. Doch sind diese nicht nur Entwicklungen der letzten wenigen Jahre, sondern das bedauerliche Resultat einer mindestens 15 Jahre währenden schleichenden, wenn auch stetigen Entwicklung.

Politischer Einfluss

Was sieht die Öffentlichkeit? Eine Gestalt, die eine merkwürdige Zwitterform zwischen Politik und Verwaltung wurde, mit Chatnachrichten, die uns noch viele Jahre verwundern werden. Als Generalsekretär: die "erfolgreiche" Politisierung und Kastrierung der Verwaltung.

Eine Steuerverwaltung, die sich verbiegen lässt – ein Einzelfall? Planlosigkeit der öffentlichen Gesundheitspolitik, Durcheinander in der Implementierung von Maßnahmen – auch aufgrund bundesländerspezifischer "Prioritäten" wie etwa Skihütten – und unterschiedliche Verwaltungsebenen, die aneinander vorbeireden. Informationen und Daten werden zuerst nicht eingeholt, dann nicht zusammengeführt, und letztlich nicht an jene kommuniziert, die sie haben sollten.

Es scheint: Wissen ist Macht, nichts wissen macht nix! Fachliche und sachliche Kenntnisse, wissenschaftlich gesichertes Wissen, rechtliche Vorschriften und Rahmenbedingungen: Sie sind nicht mehr der Rahmen, innerhalb dessen Politik betrieben wird. Vielmehr werden sie verbogen, sodass das politisch gewünschte Ergebnis herauskommt. If the facts don’t fit the theory, change the facts.

Verlottertes System

Dies sind die weithin sichtbaren Erscheinungen, die irritierte Öffentlichkeit sieht jedoch nur die Spitze des Eisberges. Wer innerhalb dieses Systems arbeitet, weiß hingegen, dass der Teil des Eisberges unter der wahrnehmbaren Oberfläche ein riesiger ist. Aber das muss gesagt werden: Dies kam nicht von ungefähr und ist keine rezente Entwicklung. Die Verlotterung hat vor längerem begonnen, sie wird allerdings unverschämter durchgezogen.

Die gesellschaftlich wesentliche Frage ist, ob dies noch umkehrbar ist oder ob die Libanonisierung schon so weit vorangeschritten ist, dass Österreich auf Generationen mit einer stetig abnehmenden Qualität der Verwaltung wird leben müssen; ob die Politik sich weiterhin leichtfüßig abseits einer faktenbasierten Entscheidungsgrundlage wird bewegen können; und ob Politiker sich einer solchen Versuchung werden entziehen können.

Lange Geschichte

Die österreichische Verwaltung hat eine lange und im Großen und Ganzen erfolgreiche Geschichte. Es stimmt wohl: Man kann nicht behaupten, dass es in Österreich je eine rein meritokratische und entpolitisierte Verwaltung gegeben hätte. Ministerien (manche mehr, manche weniger), wesentliche Bereiche der Länderverwaltungen, rote und schwarze Gemeinden: All diese haben Personal nicht rein nach fachlichen Kriterien eingestellt, und häufig durchaus nach politischen Kriterien befördert. Doch gemeinhin – und durchaus mit Ausnahmen, die man kannte, aber nicht benannte – hat die Verwaltung relativ gut funktioniert, zumindest solange es keine Krisen gab.

Doch ab 2006 fing der Übergang zur Ausschaltung der fachlich basierten Entscheidungsgrundlagen an, der Beginn einer zuerst schleichenden und dann rasanten Entwicklung. Kabinette der Minister wurden enorm ausgebaut, allzu häufig mit politisch enthusiastischen Jugendlichen ohne Fachwissen. Fachleuten wurde mitgeteilt, welche Ergebnisse abzuliefern seien – unbeschadet rechtlicher oder wirtschaftlicher oder wirtschaftspolitischer Vernunft.

"Things fall apart; the centre cannot hold (...). The best lack all conviction, while the worst are full of passionate intensity."
Aus W. B. Yeats’ Gedicht "The Second Coming" ("Die Wiederkehr")

Aufnahmen in den öffentlichen Dienst wurden nicht mehr den zuständigen Managern überlassen, vielmehr wurde von Ministern oder Kabinettschefs mitgeteilt, wer denn aufzunehmen sei. Bis hinunter zu Trainees. Die fachlichen Resultate waren häufig dementsprechend.

Beförderungen wurden nicht aufgrund fachlicher Meriten, sondern nur noch nach parteipolitischen Kriterien vorgenommen, und die unfähigeren Kabinettsmitarbeiter sickerten langsam in die Beamtenschaft ein. Dort kletterten sie stetig die Karriereleiter empor, häufig gleichzeitig noch im Kabinett und trotzdem Manager in der Verwaltung – in fast jedem anderen zivilisierten Land eine undenkbare Doppelfunktion. Damit war sichergestellt, dass politische Überlegungen und gewünschte Resultate nicht mehr von fachlichen Beschränkungen kontaminiert werden konnten. Schlechte Qualität und Opportunismus sind dadurch auf Jahrzehnte vorprogrammiert, da die fähigen Politjünglinge die Ministerien verlassen und die unfähigen der Verwaltung verbleiben.

Einige Vorbilder

Dies ist nicht von heute auf morgen lösbar, selbst wenn man denn wollte, was zu bezweifeln ist. Da es entschlossene Reformen benötigen würde, könnte es Jahre dauern. Allerdings sind bedauerlicherweise wohl nur wenige Politiker an der faktenbasierten Beratung einer zukünftigen Regierung durch eine qualitativ hochstehende Verwaltung interessiert. Obwohl es im Prinzip einfach wäre: Man müsste sich nur am Beispiel qualitativ hochstehender Verwaltungen orientieren. Ein Beispiel wären die Niederlande, die nach meritokratischen Kriterien Personal anstellen und befördern.

Die Finanzminister aus gut verwalteten Ländern, die ich kannte, etwa Niederlande, Deutschland oder (früher) das Vereinigte Königreich, hatten in der Regel einen oder zwei politische Referenten und ansonsten fachliche Berater aus ihrem Ministerium. Häufig wurden externe Berater für komplexe Aufgaben herangezogen, aber auch dann transparent und nach Qualität ausgesucht. Die Ergebnisse von Studien sind öffentlich zugänglich, auch weil sie dem Wissen und nicht der Finanzierung von zu verschleiernden Vorgängen dienen.

Desinteresse an Inhalten

Ohne qualitativ hervorragende Verwaltung kann es keine exzellente Politik und Wirtschaftspolitik geben. Dies bedingt Rekrutierungen und Beförderungen ausschließlich nach Qualitätskriterien. Eine Abschottung der Politiker von der Verwaltung durch große Kabinette ist ein Indiz für mangelhafte Beratungsstrukturen und Desinteresse der Politik an Inhalten.

Es ist eigentlich ganz einfach. Alles was es braucht, ist ein Kulturbruch: Qualität, Experten, Fakten. Dann werden zumindest unsere Nachfahren gut regiert und verwaltet werden können. Sogar in Pandemien. (Thomas Wieser, 13.1.2022)