Auch in diesem Bereich muss es Sanktionen geben, fordert die frühere ukrainische Abgeordnete Hanna Hopko im Gastkommentar.

Eine Umarmung vor einer U-Bahn-Station Donnerstagfrüh in Kiew. Kreml-Chef Wladimir Putin startete in der Nacht den Angriff auf die Ukraine.
Foto: AFP / Daniel Leal

Als sich meine zehnjährige Tochter im vergangenen Dezember ein Meerschweinchen wünschte, meinte ich, sie solle damit warten. Konfrontiert mit dem unheilvollen Schauspiel 140.000 russischer Soldaten an unserer Staatsgrenze haben wir – für den Fall eines Einmarsches – über die logistischen Herausforderungen der Evakuierung eines Meerschweinchens in die Westukraine diskutiert. Das normale Leben wird im Belagerungszustand zu einer existenziellen Burleske.

Nun hat der Einmarsch begonnen. Doch auch wenn die Welt sich zu Recht mit den Bildern von Panzern und Truppen beim Überqueren der Landesgrenzen beschäftigt, online wird in der Ukraine der Kampf mit der vom russischen Staat vorangetriebenen Destabilisierung schon seit vielen Jahren ausgetragen. Mithilfe seines umfangreichen Arsenals in- und ausländischer Staatsmedien, Trollfabriken und nützlicher Idioten hat der Kreml eine Fülle von Unwahrheiten über die Ukraine in die Welt gestreut. Diese Lügenflut hat dazu geführt, dass viele Menschen auf der ganzen Welt glauben, Kiew und die Nato seien die Aggressoren – und jegliche Reaktion der russischen Streitkräfte eine legitime Verteidigungsmaßnahme.

Konstruierte Fakes

Zu den Kreml-Strategien zählt auch Whataboutism: Zynisch wird dem Westen der Spiegel vorgehalten und auf seine Heuchelei verwiesen. "Ihr kritisiert unsere Bombengriffe auf Syrien? Und was ist mit eurer Invasion im Irak?" Es geht dabei nicht um eine Rechtfertigung russischer Handlungen, sondern darum, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, es gäbe letztlich keinen Unterschied zwischen einem illiberalen Regime und einer liberalen Demokratie, zumal ersteres wenigstens nicht vortäusche, etwas anderes zu sein. Im Zusammenhang mit der Ukraine ist das eine häufige Taktik, etwa wenn sich der russische Präsident Wladimir Putin besorgt über Kiews angebliche Menschenrechtsverletzungen gegenüber russischsprachigen Menschen zeigt.

Während der Invasion der Ostukraine brachten die staatlichen russischen Medienkanäle eine Reihe von Schauergeschichten über von der ukrainischen Armee getötete Kinder in Umlauf, konstruiert ausschließlich in der Absicht, Hass zu schüren. Der Leiter des englischsprachigen Nachrichtensenders Russia Today fragte hysterisch, ob Kiew im Osten Konzentrationslager errichten werde. Putin selbst hat umfassend dargelegt, dass er die Identität und souveräne Staatlichkeit der Ukraine nicht anerkennt.

Die größten Bedrohungen

Man braucht nur einen Blick auf die 2014 annektierte Krim zu werfen, um ein Bild davon zu bekommen, wie die größten Bedrohungen für russischsprachige Menschen in von Russland besetzten Gebieten aussehen. Dutzende Angehörige der autochthonen Minderheit der Krimtataren wurden mit erfundenen Extremismusanklagen verurteilt; noch mehr vegetieren in Haft dahin. Zu ihren Zellengenossen gehören Journalisten wie Wladislav Jesipenko, ein Mitarbeiter von Radio Free Europe, der nach eigenen Angaben mit Elektroschocks gefoltert wurde und dem bis zu 18 Jahre Haft drohen. Hunderte weitere ohne Gerichtsverfahren in den Kerkern der besetzten Städte Donezk und Luhansk Inhaftierte sollten als Warnung davor dienen, wie viel Schutz die russischen "Befreier" gewähren.

Der Demokratisierungsprozess in der Ukraine ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Die zentralen Ziele sind die Reform des öffentlichen Dienstes und des Justizwesens, eine Stärkung der Rechtsstaatlichkeit, ein hartes Vorgehen gegen Korruption sowie die Zerschlagung der Vorherrschaft der Oligarchen. Und dennoch profiliert sich die Ukraine als Vorreiter bei der Bekämpfung von Desinformation, hybrider Kriegsführung und Cyberangriffen. Einheimische Nachrichtendienste und Medieninitiativen wie Euromaidan Press und StopFake.org konnten sich seit den Maidan-Protesten 2014 gut etablieren.

Solidarität zeigen

Eine kürzlich auf der Website des Präsidialamts eingereichte Petition mit über 25.000 Unterschriften forderte die Regierung auf, Google, Youtube und Facebook zur Eröffnung von Büros in Kiew zu bewegen, um Gefährdungen der Informationssicherheit zu bekämpfen, welche aus der Beeinflussung von Social-Media-Inhalten aus Russland resultieren. Einige Verbündete der Ukraine zögern, schweres Kriegsgerät in das Land zu liefern; ein sinnvoller Beitrag allerdings wäre, Anti-Desinformations-Aktivistinnen und -Aktivisten zu unterstützen. Darüber hinaus müssen internationale Sanktionen gegen russische Propagandisten, etwa Fernsehmoderatoren und Regisseure, ausgeweitet und Druck auf internationale Marken ausgeübt werden, die ihre Anzeigenerlöse für den Krieg gegen die Demokratie verwenden.

Putin wird die Ukraine und auch Europa mit immer neuen unberechenbaren Militäraktionen, der zielgerichteten Instrumentalisierung sozialer Medien und dem Ausbau seines propagandistischen Netzwerks herausfordern. Russland sollte als ein staatlicher Förderer des Terrorismus eingestuft werden, um Solidarität mit der ukrainischen Klage gegen Russland vor dem Internationalen Gerichtshof zu zeigen. Insbesondere sollte die "Gruppe Wagner", ein mit dem Kreml vernetztes russisches Söldnerunternehmen, das in mehreren Ländern, einschließlich der Ukraine, verdeckt im Einsatz sein soll, als terroristische Organisation eingestuft werden.

US-Präsident Joe Biden mahnte unlängst, die US-amerikanische Demokratie stehe vor ihrer größten Bewährungsprobe seit dem US-amerikanischen Bürgerkrieg. Vielleicht lohnt es sich für die Vereinigten Staaten, am Beispiel der Ukraine Anregungen zur Verteidigung von Freiheit und Gerechtigkeit zu finden. (Hanna Hopko, 25.2.2022)