Astrid Irrgang, stellvertretende Direktorin des Berliner Zentrums für Internationale Friedenseinsätze, schreibt in ihrem Gastkommentar über die wichtige Aufgabe der OSZE in der Ukraine.

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Mehrere Teilnehmerstaaten wie die USA oder Kanada haben ihr Personal von der Sonderbeobachtungsmission der OSZE in der Ukraine abgezogen.
Foto: Reuters / Alexander Ermochenko

Der Ständige Rat der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), dem alle 57 Teilnahmestaaten inklusive Russland angehören, beschloss am 21. März 2014 eine zivile Sonderbeobachtungsmission. Das Mandat der unbewaffneten Mission beinhaltet die Informationssammlung zur Sicherheitslage und transparente Dokumentierung von Verstößen gegen die Waffenruhe durch zivile Beobachterinnen und Beobachter. Es umfasst auch Dialogformate mit der Zivilgesellschaft und praktische Beiträge zur Aufrechterhaltung eines würdigen Lebens der Menschen vor Ort. Nicht nur wenn eine zerschossene Wasserleitung zu reparieren ist oder eine große Medikamentenlieferung ankommt, ist die Einhaltung des Waffenstillstands besonders wichtig.

Dafür patrouilliert die Mission an sieben Tagen pro Woche im Missionsgebiet. Dieses umfasst die gesamte Ukraine, insbesondere aber die Oblaste Donezk und Luhansk vor und hinter der Kontaktlinie zu den Separatistengebieten – die nun unabhängig geworden sind, so sieht es der Kreml. Mit der Anerkennung der beiden "Volksrepubliken" verabschiedet sich der russische Präsident Wladimir Putin einseitig vom sogenannten Minsker Abkommen zur friedlichen Beilegung des Konflikts in der Ostukraine. Für dieses Abkommen hatten sich unter anderen Frankreich und Deutschland vor acht Jahren intensiv eingesetzt. Die russische Seite hält sich nun weiterhin alle Optionen offen. Niemand weiß, was in den nächsten Tagen geschieht. Völkerrechtlerinnen und Völkerrechtler haben dafür einen Ausdruck: "Macht bricht Recht."

Beharrliche Fortsetzung der Arbeit

Auch ist nicht klar, wie die ukrainische Seite reagieren wird. Was bedeutet Putins Handeln für die Arbeit der OSZE? Es sollte bedeuten: beharrliche Fortsetzung der Arbeit unter neuen Bedingungen!

Das Mandat sieht bis zu 1000 internationale Beobachterinnen und Beobachter vor – derzeit sind nur rund 550 von ihnen in der Ukraine. Mehrere Teilnahmestaaten wie die USA, Kanada, Großbritannien und Dänemark haben ihr Personal in den letzten Tagen aus der Mission abgezogen. Auch Botschaften sind aus Kiew ins weniger exponierte Lemberg verlegt worden. Dramatische Bilder von westlichen Staatsangehörigen, die vor wenigen Monaten neben verzweifelten Afghaninnen und Afghanen am Flughafen Kabul auf Rettung vor den vorrückenden Taliban bangten, wollte man nicht aus Kiew sehen.

Dies alles hinterlässt empfindliche Kapazitätslücken und fordert den verbleibenden Teams der OSZE besonders viel Arbeit – und Mut – ab. Deutschland und auch Österreich, Schweden und Finnland gehören neben anderen Nationen zu den Teilnahmestaaten, die diesem gefährlichen Sog nicht erlegen sind und ein Kontersignal gesetzt haben: Wir wollen und werden gerade jetzt mehr OSZE-Beobachterinnen und -beobachter schicken.

Durch Präsenz enttarnen

Die Aufgabe der Sonderbeobachtungsmission "im Feld" ist wichtiger denn je. Wer sonst sollte berichten, was in einer kurzen Flugdistanz von uns entfernt geschieht? Wer, wenn nicht die OSZE, könnte mit einem Frühwarnsystem mögliche Eskalationsgründe melden und entschärfen oder der Zivilbevölkerung im Osten der Ukraine täglich den Unterschied zwischen russischen "Friedenstruppen" und international legitimiertem Personal vor Augen führen? Diese zynische Camouflage der Aggression – oder wie der UN-Generalsekretär António Guteres gerade sagte –, "diese Perversion des Konzepts von Peacekeeping", kann doch nur durch Präsenz enttarnt werden.

Artikel 6 – Präsenz in den "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk – und Artikel 7 – die Sicherheit des OSZE-Personals – des Mandats der Sonderbeobachtungsmission sind weiterhin gültig. Die Fürsorge für unser Personal ist genauso wichtig wie das politische Signal, zu bleiben. Das Mandat wird hoffentlich über März hinaus verlängert und budgetär angemessen ausgestattet. Liebe Kolleginnen und Kollegen aus Washington, Ottawa, London und Kopenhagen: "Kommt zurück!" (Astrid Irrgang, 24.2.2022)