Im Gastkommentar widmet sich der Schriftsteller Richard Schuberth der Frage, warum so viele Linke PR für den russischen Präsidenten machen.

Ein Tänzchen mit Wladimir Putin. Der russische Präsident war 2018 Gast auf der Hochzeit der österreichischen Außenministerin Karin Kneissl. Vor einem Jahr erhielt sie einen Aufsichtsratsposten im Ölkonzern Rosneft.
Foto: APA/Roland Schlager

Die Gründe, warum manche Linke Partei für Wladimir Putin ergreifen, sind mannigfaltig und treten in ebensolchen Mischverhältnissen auf. Zwar werden die wenigsten von ihnen ernsthaft eine systemische Kontinuität zum Sowjetkommunismus behaupten, dennoch fällt dieser eigenartige Russland-Fetisch auf, der sich durch linke Theorie nicht decken lässt. Es ist so, als sei die kommunistische Schale dieses Gefäßes zerbrochen, doch erhielten die Ablagerungen darin dessen Form.

Dabei hatte Putin Sowjetnostalgikern in seiner Rede an die Nation selbst eine klare Absage erteilt. Der ukrainische Staat, sprach er, sei eine Erfindung der Bolschewisten. Weiters mokierte er sich über die "Dekommunisierung" ("dekommunizacija")der Ukraine durch Stürzen von Lenin-Statuen. Darin sei sie allerdings auf halbem Wege stehen geblieben, denn als Produkt des Kommunismus müsse sie sich auch selbst stürzen. Das wäre nicht unwitzig, wäre Putin nicht jäh in den Ton der Drohung verfallen: "Wir sind bereit, euch zu zeigen, was wirkliche ‚dekommunizacija‘ für die Ukraine bedeutet." Unmissverständlich drohte Putin hier mit der Vernichtung ukrainischer Eigenstaatlichkeit.

Das kleinere Übel

Natürlich ist Putin Antikommunist. Und man wird in seiner Kritik des Westens keinen einzigen antikapitalistischen Ton vernehmen, seine Agenda ist unverblümt die des mittleren Gangleaders, sein Revier gegenüber der größten Gang abzustecken.

Warum aber machen so viele Linke PR für ihn? Die plausibelste Antwort liegt in einem aufrechten Hass gegenüber dem Anspruch der USA als Welthegemon, der Nato und des Vasallen EU als Inbegriffe des imperialistischen Kapitalismus. Da es kein systemisch anderes dazu gibt, verlagerte sich die Solidarität auf das angeblich kleinere Übel.

Bei manchen Ethnien Neuguineas, wo Stammeskriegen bis vor einigen Jahrzehnten noch der Charakter sportlicher Disziplinen eignete, war es üblich, dass Kämpfer zur Gegenseite wechselten, sobald diese zahlenmäßig unterlegen war. Nun gelten Kriege schon lange nicht mehr als sportliche Disziplin, sondern bedeuten Bombenteppiche auf Zivilisten. Wie merkwürdig, dass Menschen, deren Aufgabe eigentlich die Kritik von Kapitalismus und Imperialismus sein sollte, gegen eine imperiale Macht, die 611,2 Milliarden US-Dollar für ihr Militärbudget ausgibt, Partei ergreifen für eine, die nur 69,2 Milliarden US-Dollar für denselben Zweck von ihrem Sozialbudget abzieht, warum sie also US-Präsident Joe Bidens Kopf zerbrechen wollen, indem sie sich den Putins zerbrechen.

Antifaschistische Nostalgie

Ein weiteres Motiv ist antifaschistische Nostalgie, indem nicht nur die aktuellen Russen, sondern auch ihre politischen Repräsentanten gleichgesetzt werden mit einem Volk, das zweimal Opfer deutschnationaler und faschistischer Aggression wurde und dieser letztlich unter hohem Blutzoll Einhalt gebot. Solch ein Denken ist nicht geschichtsbewusst, sondern enthistorisierend, indem der Antifaschismus zur Volksseele verklärt wird. Es steht jedoch in keinem Verhältnis zur Unverschämtheit, mit der österreichische Politiker und Journalisten dieser Tage den Nationalsozialismus durch Hitler-Putin-Vergleiche verharmlosten.

Kulturalistische Denkmuster finden sich häufig auch bei Linken: Russen als eine Art People of Color, als ewiges Opfer westlicher Suprematie und eines Antislawismus, der quasi naturhafter Ausdruck "germanischer" Aggression sei. Nun mangelte es seit Bidens Amtsantritt wirklich nicht einer konzertierten medialen Propaganda gegen Russland als launiger Ouvertüre der kommenden militärischen Machtdemonstrationen (mit denen man im Übrigen China zu beeindrucken gedachte), doch richtete sich diese stets gegen das System Putin, kaum gegen das Staatsvolk selbst. Antislawischer Rassismus, wie er sehr wohl noch gegen Serben in den Jugoslawienkriegen bedient wurde, blieb weitgehend aus. Dass im Fernsehen seit beinahe zwei Jahren in Dauerschleife Dokus über die Diskriminierung von LGTBQ+ und Oppositionellen durch das russische Regime laufen, hätte dieses selbst schlichtweg dadurch verhindern können, dass es solche Leute weder diskriminiert noch verfolgt. So einfach ginge das!

Ganz im Sinne Putins

Dann wäre da noch ein antinationalistisches Motiv. Der Konstruktionscharakter der ukrainischen Nation, die sich auch heute antisemitischer Mörder wie Symon Petljura und Stjepan Bandera rühmt. Die Ukraine, so klügelt manch linker Hobbyhistoriker ganz im Sinne Putins, sei historisch immer Teil Russlands gewesen, der ukrainische Dialekt als Subvariante des Russischen angesehen worden. Aber wer ein braver Antinationalist sein will, muss Konsequenz zeigen und den Konstruktionscharakter einer jeden Nation bedenken, auch der russischen. Die ethnische Exklusivität der Ukrainer, Belarussen und Russen ist selbst ein Produkt des 19. Jahrhunderts und hinkte vergleichbaren Entwicklungen in Westeuropa sogar um Jahrzehnte hinterher. 1819 erschien die erste ukrainische Grammatik, die erste russische aber nur 17 Jahre zuvor. Bis dahin und viel länger bedeutete Russe zu sein: orthodoxer Glaube und Loyalität zum Zaren.

Das vernünftigste Argument gegen Putins Gegner sind immer noch die unterschiedlichen Maßstäbe, zum Beispiel die tausenden Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die Stellvertreterkriege und Brüche des Völkerrechts, die USA und Nato zu verbuchen haben.

Ökumene der Barbarei

Das waren noch Zeiten (2019), als Russland und die USA in einer gemeinsamen Ökumene der Barbarei der islamistischen Nato-Diktatur Türkei Teile Rojavas zur freien Verfügung überließen und die westliche Wertegemeinschaft dazu schwieg. Zumindest nennen die Kontrahenten von heute ihre Interventionen nicht mehr "humanitär". Kritik des westlichen Imperialismus, die zu einem östlichen Imperialismus, der syrische Städte zerbombt, seine Hände schützend über den iranischen Klerikalfaschismus breitet und Nachbarländer überfällt, schweigt, ist nicht ernst zu nehmen. Kritik, die Sozialabbau und Verarmung einzig als Problem des westlichen Kapitalismus anprangert und über die Verelendung von Gesellschaft und Infrastruktur im Land des russischen Kriegstreibers schweigt, desgleichen.

Ein aufgeklärter Pazifismus, der sich sowohl gegen den russischen Expansionismus als auch die militärische Eskalationslogik stellt, wäre das Mindeste, was man von einer Linken dieser Tage erwarten könnte. (Richard Schuberth, 28.2.2022)